100 Jahre Mazda: Überlebenskünstler aus Hiroshima

Vielleicht kann ein Hersteller aus Hiroshima gar nicht anders. Wer wie Mazda nur vier Monate nach der Hölle des fast alles vernichtenden amerikanischen Atombombenabwurfs auf die japanische Metropole im Jahr 1945 neue Nutzfahrzeuge für den Aufbau produziert, muss über eine besondere Motivation verfügen.

Tatsächlich war es dieser Ingenieursgeist, der schon am 30. Januar 1920 zur Gründung des Mazda-Stammwerks Toyo Cork Kogyo geführt hatte. So kurz nach dem Ersten Weltkrieg stockte der Nachschub an natürlichem Kork aus Europa. Für die Ingenieure der Toyo Cork Kogyo Anlass, einen hochwertigen Korkersatz zu entwickeln. Aber bereits ein Jahr später folgte das wirtschaftliche Desaster, denn Naturkork war wieder verfügbar. Kein Problem für den findigen Industriellen Jujiro Matsuda, der als frisch gekürter Unternehmenschef den Maschinenbau als Geschäftsfeld auftat, vor allem aber dreirädrige Nutzfahrzeuge entwickelte, die ab 1931 zu Bestsellern avancierten. Als ersten Pkw produzierte Mazda erst 1960 den winzigen R360, der sich mit charmanter Coupé-Karosserie als Marktführer bei den Kei-Cars positionierte. Und schon wieder drohte ein Damoklesschwert, denn die japanische Politik verfügte die Fusion von Mazda mit anderen Herstellern. Daraufhin erwarb Tsuneji Matsuda, Sohn des Patriarchen, bei NSU eine Lizenz zur Nutzung des neuartigen Wankelmotors – und begeisterte seine zukunftsgläubigen Landsleute. Zu Recht, denn als einziger Hersteller brachte Mazda Wankel-Autos in Millionenauflage auf den Markt.

Dazu errichteten die rastlos aktiven Mazda-Ingenieure in Rekordzeit ein Forschungszentrum, in dem die von Wettbewerbern für unlösbar gehaltenen Dichtleistenprobleme der Kreiskolbenmotoren eliminiert wurden. Zur Sensation geriet deshalb der im Mai 1967 vorgestellte und in futuristische Formen gekleidete Mazda Cosmo Sport 110 S: Das weltweit erste Serienfahrzeug mit Zweischeiben-Kreiskolbenmotor, eingeführt, bevor die Wankel-Limousine Ro 80 des Lizenzgebers NSU für Furore sorgen konnte. Seine Belastbarkeit bewies der frühe japanische Supersportler bereits 1968 mit einem kühnen Auftritt in der Höhle des Löwen: Beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring zeigte der Samurai allen europäischen Supercars, dass Mazda eine kommende Macht im Motorsport und im Exportgeschäft werden wollte. Tatsächlich sollten die Techniker aus Hiroshima mit dem Vierscheiben-Wankel-Racer 787B im Jahr 1991 einen Triumph feiern – als erster japanischer Sieger der 24 Stunden von Le Mans.

Der Cosmo Sport 110 S machte Mazda weltweit bekannt, genau passend zum europäischen und amerikanischen Markteintritt. In den USA war Mazda schon in den 1970ern Kult, jedes zweite verkaufte Auto hatte den Rotary-Motor mit turbinenartiger Laufkultur unter der Haube, gleich ob Coupés wie R100 und RX-2 oder Limousinen und Kombis der Typen RX-3 und RX-4. Auch Mazda Pickups und Busse fuhren mit der Kraft der kreisenden Kolben und differenzierten die Marke vom asiatischen Mainstream, der eher durch günstige Preise punktete als mit raffinierter Technik. In Deutschland trat Mazda ab 1972 an, wobei der Vertrieb erst ein Jahr später in Fahrt kam. Auch hier war es ein Wankel, durch den sich die Japaner ins Gespräch brachten. Auf der Frankfurter IAA 1973 kam es zum historisch einzigartigen Messe-Gipfeltreffen von gleich drei Marken: Mazda RX-3 und RX-4 maßen sich dort mit Citroen GS Birotor und NSU Ro 80.

Noch ahnte niemand, dass die Welt wenige Wochen später anders aussehen würde. Die erste Ölkrise forderte Opfer und dazu zählten die verbrauchsintensiven Kreiskolben-Typen. Mazda stand einmal mehr am Abgrund. Der zehntgrößte Autobauer der Welt hatte 1974 eine ganze Jahresproduktion auf Halde stehen, ein Desaster, wie es in dieser Form kein anderer Autokonzern erlebte. Was tun? Der japanische Hersteller hatte 1945 den atomaren Asche-Regen von Hiroshima überlebt und deshalb musste ein sogenannter „Plan Phoenix“ her. Audi/NSU stellte den Ro 80 ein, Citroen den Birotor und Mercedes, GM sowie alle anderen ließen die Wankel-Projekte ebenfalls sterben. Aber bei Mazda hob der „Rotarier“ ab wie eben der mythische Vogel Phoenix aus der Asche, verbrauchsreduziert und im keilförmigen Sportcoupé RX-7 – ein Sensationserfolg. Sogar der Porsche 924 war chancenlos gegen den schnellen sowie obendrein preiswerten Mazda. Allein, die Erneuerung der Modellpalette – dazu zählten auch konventionelle Erfolgsträger wie der kompakte 323 und der 626, der in Vergleichstests sogar die Mercedes-Mittelklasse schlug – kostete mehr Geld als Mazda stemmen konnte.

Frisches Kapital in der Not kam von Ford, im Gegenzug erwarben die Amerikaner rund ein Drittel der Mazda-Stammaktien. Immerhin verfügten die Japaner nun über eine gut gefüllte Kasse, mit der sie sich in ihr vorläufig größtes Abenteuer stürzten: Die Entwicklung eines offenen Zweisitzers, wie er damals fast ausgestorben war. Mazda MX-5 hieß der kleine Roadster, der 1989 alle Attribute verführerischer englischer und italienischer Sportwagen in sich vereinte, diese jedoch um Zuverlässigkeit und Preiswürdigkeit ergänzte. Mehr als eine Million Käufer begeisterten sich bis heute bereits für den MX-5, dieses Spaßmobil, für das Fachleute einst keine Chance sahen. Längst avancierte der MX-5 zum meistverkauften zweisitzigen Sportwagen aller Zeiten – und er überlebte fast alle seine Nachahmer. Nicht einmal der zeitweise bei Mazda gebaute MX-5-Zwilling Fiat 124 Spider konnte reüssieren.

Trotzdem wurde auch bei Mazda nicht alles zu Gold, was die Ingenieure entwickelten. Die 1990er Jahre waren ein trübes Kapitel, Ford mischte sich ein und Mazda verzettelte sich zwischen Langweilern wie den letzten 626 und 929 und Premium-Experimenten namens Xedos 6 und Xedos 9. Frischer Schwung musste her, um die Abwärtsspirale zu stoppen. „Zoom-Zoom“ hieß deshalb das Markencredo fürs 21. Jahrhundert und wie dieses kindliche Freude implizierende Wortgebilde suchte Mazda nach neuem Fahrspaß. Und das erfolgreich mit dynamisch gestalteten Modellen von Mazda2 bis Mazda6 und seit 2012 auch durch Kompakt-SUVs à la CX-5, CX-3 oder CX-30.

Inzwischen hat sich Ford von den Mazda-Anteilen getrennt und die Japaner fanden mit Toyota einen technischen Kooperationspartner aus Nippon. Schließlich lässt sich die Elektrifizierung der Antriebe nicht aufhalten, wie der im Jubiläumsjahr 2020 startende batterieelektrische MX-30 auf eigenwillige Mazda-Art zeigt. Dessen Portaltüren zitieren den RX-8, vielleicht, weil der Wankel auch im MX-30 arbeiten soll, nun als Reichweitenverlängerer. Dagegen erinnern natürliche Korkmaterialien im Interieur des MX-30 an die Ursprünge des Unternehmens vor 100 Jahren. Kostspielige Alleingänge wagt Mazda übrigens weiterhin, wie das Vertrauen in exzentrische Verbrenner zeigt. So soll der Skyactiv-X-Motor in neuen Mazda-Modellen die Vorteile von Benzin- und Dieselmotoren vereinen, vergleichbar dem Diesotto-Experiment bei deutschen Premiummarken. Aber das ist für die Ingenieure aus Hiroshima wie eh und je nur Antrieb, es besser zu machen – so wie einst beim Wankel.

Fotos: Mazda

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