Opel: 120 Jahre im Automobilbau

"Stinkkarren für Reiche" nannte Konzerngründer Adam Opel die frühen Patent-Motorwagen, wie sie ab 1886 von Benz und Daimler präsentiert wurden. Da ahnte Opel allerdings nicht, dass sein Rüsselsheimer Nähmaschinen- und Fahrradhersteller in Rekordzeit zum größten europäischen Automobilbauer aufsteigen und als erster Autos für die breite Bevölkerung bezahlbar machen sollte. Eine Erfolgsstory, die am 21. Januar 1899 mit dem legendären Opel-Patentmotorwagen „System Lutzmann“ ihren Anfang nahm, mit dem preiswerten „Doktorwagen“ ab 1909 die Landärzte motorisierte und mit dem Opel „Laubfrosch“ 1924 das erste deutsche Fließband- und Volksauto hervorbrachte – lange bevor der VW Käfer das Krabbeln lernte.

Nichts konnte damals den hessischen Giganten aufhalten, der seit 1929 zum amerikanischen General Motors Konzern (GM) gehörte. Mit einem Modellbaukasten vom kleinen Kadett bis zum repräsentativen Kapitän attackierte Opel in den bundesdeutschen Wirtschaftswunderjahren den Wolfsburger Herausforderer, aber auch die Stuttgarter S-Klasse. Bis zum Ende der 1980er Jahre war die Welt für die Marke mit dem Blitz in Ordnung, dann kamen Qualitätsprobleme und plötzlich Überkapazitäten. Trotz völlig neuer Typen wie Zafira und Insignia führten massive Absatzeinbrüche 2009 fast zum Verkauf an den Zulieferer Magna. Die Trennung zwischen GM und Opel konnten am Ende weder die spektakuläre Markenkampagne „Umparken im Kopf“ noch Imageträger wie Ampera und Adam verhindern. Heute liegt es an Franzosen, Rüsselsheim auf Kurs zu bringen – so wie ganz am Anfang. Schließlich wusste schon Adam Opel, was er an Paris hatte.

Opel und die Franzosen, das ist eine seit dem 19. Jahrhundert währende Liaison, durch die beide Seiten mehrfach profitiert haben. Als Marke des französischen PSA-Konzerns feiert Opel jetzt 120 Jahre Automobilbau. Mit der Herstellung von Maschinen hatte Adam Opel allerdings schon 1862 begonnen – nicht ohne Starthilfe aus der Grande Nation. Damals entdeckte Adam Opel das Absatzpotential neumodischer Nähmaschinen, die im weltoffenen Paris besonders begehrt waren. Bei einem seiner Besuche dort beeindruckte Opel das Verkehrschaos am Place de l’Etoile, verursacht durch Kutschen, aber auch durch das in Paris bereits populäre Fahrrad. Kaum zurück in Rüsselsheim realisierte Opel seine eigene Fahrradfertigung: Noch Mitte der 1920er Jahre war Opel größter Zweiradproduzent der Welt.

Die erschwingliche Mobilität hatte Adam Opel bewegt, noch mehr beschäftigte sie aber seine Söhne, die deshalb kurz nach Adams Tod die Anhaltinische Motorwagenfabrik des Dessauer Konstrukteurs Friedrich Lutzmann erwarben. Erstes Modell der nach Rüsselsheim verlegten Automobil-Manufaktur war deshalb Lutzmanns Motorkutsche, die jedoch als konservatives und kostspieliges Gefährt für größere Stückzahlen nicht taugte. Wieder waren es die Nachbarn westlich des Rheins, genau gesagt Alexandre Darracq, der Opel 1902 durch eine Lizenzfertigung seines Automobilportfolios in Schwung brachte. Bis 1908 dauerte diese Kooperation mit Darracq, dann lancierten die Deutschen das erste eigenständig konstruierte Erfolgsmodell, den Opel 4/8 PS Doktorwagen. Noch populärer war das „Puppchen“ von 1914: Dieser Kleinwagen machte Opel zum größten europäischen Autobauer.

Nach dem Ersten Weltkrieg waren es abermals die Franzosen, die Opel beflügelten. Nun diente der stets zitronengelb lackierte Citroen Typ C als Blaupause für den Opel Typ 4 PS „Laubfrosch“. Dessen froschgrüne Lackierung und ein eigenständiger Kühler genügten, um Opel im von Citroen angestrengten Plagiatsstreit Schutz zu gewähren. Die autohungrigen Käufer kümmerte das alles nicht, denn mit diesem ersten deutschen Fließbandauto konnten sich Handelsvertreter endlich den Traum der Automobilität erfüllen. Als Anfang der 1930er Jahre die letzten neuen Laubfrösche auf die Straßen sprangen, gehörte Opel und damit zugleich Amerikanern fast die Hälfte des deutschen Marktes – unmittelbar vor der Weltwirtschaftskrise hatte die Opel-Familie 1929 an General Motors (GM) verkauft.

Was folgte war ein goldenes halbes Jahrhundert unter GM, ehe es Franzosen wagten, einmal mehr die Funktion des vielleicht rettenden Ankers zu übernehmen. Ende der 1930er Jahre reichte das Programm bei Europas Autobauer Nummer eins von den Kompakt-Typen Kadett und Olympia bis zu den Sechszylinder-Flaggschiffen Kapitän und Admiral. Nicht zu vergessen der Opel Blitz aus der größten Nutzfahrzeugfabrik Europas in Brandenburg, die übrigens zeitweise von Heinrich Nordhoff geleitet wurde, dem späteren Lenker des Volkswagenkonzerns. Nach dem zweiten Weltkrieg verlor Opel allerdings das Brandenburger Werk und die Kadett-Produktionsanlagen an die Sowjetunion, denn dort bildete das Reparationsgut die Basis, um den Moskwitsch als osteuropäisches Volksauto aufzulegen. Einen neuen Opel Kadett aus frischem Werk in Bochum gab es erst wieder 1962. Zehn Jahre später überholte dieser Kleinwagen zuerst kurzzeitig den altersmüden Käfer, um dann unter zahllosen GM-Marken globale Karriere zu machen.

Selbstbewusstsein demonstrierte die deutsche GM-Dependance in den Wirtschaftswunderjahren anfangs auf andere Art. Während der Kapitän Direktionsparkplätze und zeitweise Platz drei der deutschen Zulassungscharts besetzte, war der Rekord abonniert auf Platz eins in der Mittelklasse, und mit dem Caravan machte Opel den Kombi gesellschaftsfähig. Ab Ende der 1960er waren es dann Slogans wie „Nur Fliegen ist schöner“ und Sportcoupés wie Opel GT, Rallye-Kadett, Commodore GS/E oder Manta, die Massenmodelle aus Rüsselheim mit Kultstatus aufluden und sogar weltweit verkauft wurden. Vieles anders machten erst die 1980er Jahre. Mit dem Kadett D und dem ersten Corsa folgte Opel spät, aber erfolgreich dem Trend zum Frontantrieb und der aerodynamische Omega löste 1986 den klassischen Rekord ab. Zum 125. Jubiläum der Firma Opel anno 1987 war die Welt für Rüsselheim noch weitgehend in Ordnung. Mit knapp 16 Prozent Marktanteil fuhren die Modelle mit dem Blitz hierzulande direkt hinter Volkswagen – und doch gab es Schatten an der Wand.

Zuerst bewirkten Sparmaßnahmen des später zu VW gewechselten Managers José López de Arriortúa massive Qualitäts- und Imageprobleme, dann konnte Opel die Absatzerfolge asiatischer Newcomer auch mit neuen Modellen nie nachhaltig kontern. Weder Astra (seit 1991), Zafira (seit 1999), Insignia (seit 2008) noch der stylishe Adam oder der elektrische Ampera (seit 2012) verhinderten das Schmelzen von Marktanteilen. GM beschränkte die Zahl der Vertriebsmärkte für die einst weltweit operierende deutsche Tochter, schloss Werke und fand schließlich im zweiten Anlauf 2017 mit PSA Peugeot Citroen einen Käufer für die Traditionsmarke. Vielleicht das beste Geschenk zum 120. Geburtstag des Rüsselsheimer Herstellers, denn die Franzosen bringen frische Ideen wie etwa der Ausbau von Rüsselsheim zur „Electric City“ zeigt. Und mit dem Badge-Engineering gallischer Typen hat Opel ja schon einmal beste Erfahrungen gemacht.

Fotos: Opel

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