Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren: Dafür stehen die Proteste der Studierenden von 1968 gegen die Unbeweglichkeit von Lehrenden und generell für die Ablehnung aller gesellschaftlichen Konvention. Und es ist sicher keine Fehlinterpretation, die kürzlich medienwirksam beschlossenene Ehe für alle auch auf diese Proteste zurückzuführen. Das Jahr 1968 war ein Jahr der bis heute prägenden politischen Veränderungen.
Wenn der Fotograf Robert Lebeck lapidar feststellt, das Jahr 1968 habe ohne ihn stattgefunden, macht er mit dieser Zuspitzung klar: Wenn die mediale Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen vermehrt gerichtet wird, geraten andere aus dem Blick der Öffentlichkeit. Zu Unrecht. Und genau ihnen hat Lebeck sich seinerzeit verstärkt gewidmet.
Was also war 1968 noch? Viel. Prag erlangte in dem Jahr nicht nur Bedeutung dadurch, dass Rudi Dutschke hier an der Karls-Universität eine viel beachtete Rede hielt. Der Papst reiste nach Bogotà. Der Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten, Robert Kennedy, wurde ermordet und unter großer öffentlicher Anteilnahme beigesetzt. Und Hildegard Knef wurde, 41-jährig, Mutter einer Tochter. Deren Taufe hat Robert Lebeck begleitet.
Am Beispiel der Knef wird besonders deutlich, wie wichtig die Aufnahmen Lebecks (1929-2014) sind, seine Kunst, das vermeintlich Nebensächliche in Bildern einzufangen: Ausgerechnet die Knef! Einerseits verehrt und bewundert, eine schöne Frau, die sich zu präsentieren weiß, eine mit Berliner Schnauze, Sängerin oft schonungslos-eleganter Texte. Andererseits scharf kritisiert, ja, angegriffen, weil dem Muttchen-Ideal der noch nachwirkenden Adenauer-Zeit so gar nicht entsprechend. Sie zeigt sich in der Öffentlichkeit als Ehefrau und Mutter. Sie zeigt sich, sie posiert nicht. Verkörpert den rebellischen Geist des Jahres, aber auch das genaue Gegenteil.
Spätestens jetzt zeigt sich, dass das Jahr 1968 keineswegs ohne Robert Lebeck stattgefunden hat. Er hat es nur anders dokumentiert als damals üblich. Genau diesem Unterschied widmen sich auch die Texte im Bildband.
Robert Lebeck: 1968. Steidl Verlag; 45 Euro.