Chris Bangles Redspace: Einfach – anders

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„Jetzt iss doch erst mal dein Sandwich”, sagt die fürsorgliche Assistentin mit besorgtem Augenaufschlag. Vielleicht kennt sie Chris Bangle ja noch nicht so lange. Wenn der Amerikaner seine neueste Kreation erstmals einem deutschen Besucher erklären kann, dann hat regelmäßige Ernährung keine Bedeutung. Auch jenseits der 60 brennt der Designer noch wie einst bei Fiat, Opel oder BMW. In diesem Falle für eine automobile Revolution.

Und die will er jetzt erklären – am ersten kompletten Auto, das er mit einer Handvoll Mitarbeiter bei „Chris Bangle Associates” entwerfen konnte. Auf der Auto Show in Los Angeles stellt der chinesische Hersteller CHTC (China Hi-Tech Group Corporation) es unter der neuen Marke Redspace vor. Vor allem aber präsentiert der blonde „Boy from Ohio” leidenschaftlich seinen erneuten Bruch mit den Konventionen.

Und gegen dieses Auto dürfte die Aufregung um den „Entenbürzel” am Heck und die Tropfaugen-Scheinwerfer des Siebener-BMW E65 von der Jahrtausendwende ein laues Lüftchen sein. Damals hatten sogar Petitionen selbsternannter Gralshüter der reinen Design-Wahrheit Bangles Rauswurf gefordert – und BMW mit „Bangle muss weg” übersetzt. Beim Reds müssten diese Beobachter nun in lebensbedrohliche Schnappatmung verfallen.

Denn der Wagen aus Bangles Zeichenblock sieht auf den ersten Blick wie die krackelige Kinderzeichnung eines Autos aus – und „genau das ist auch unser Ansatz”, sagt der drahtige Amerikaner. Denn am Anfang stand für ihn die Frage: Was hat das Auto für den staugeplagten Bewohner einer Multimillionenmetropole für eine Bedeutung? „Jedenfalls nicht die, sportlich und agil daherzukommen”. Bangle ärgert sich sichtlich über den Einheitsbrei der bissigen Kühlermasken, schlitzförmigen Scheinwerferaugen und ansteigenden Dynamik-Silhouetten mit ihren Schießscharten-Fenstern, die heute vom Sportwagen bis zum Familien-Van die Autos uniform prägen.

Wer mit 30, 50 oder maximal 70 km/h in der City unterwegs ist, der brauche keine verhinderte Kampfmaschine – sondern eher ein Auto, wie es sich die reine Seele eines Kindes erträumt. Klare Konturen, Platz zum Leben. Denn „Autos werden heute nur an maximal zehn Prozent des Tages bewegt – ich wollte aber ein Fahrzeug kreieren, das auch in den anderen 90 Prozent sinnvoll ist”, sagt Bangle.

Konkret zeigt sich das etwa darin, dass der Reds wirklich Platz für Fünf bietet. Und das auf nur 2,97 Meter Länge bei 1,66 Meter Breite und beachtlichen 1,76 Meter Höhe. Vergleichbares gibt es in der Autowelt derzeit nicht. Der Reds ist quasi von Innen nach Außen gestaltet – und soll so maximale Raumnutzung und Variabilität garantieren. „Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass der Passagier auf dem Rücksitz oft hinter dem Fahrer sitzt – und darum den Fahrersitz mit den Pedalen ganz leicht Richtung Mitte verschoben.” Der hinten Sitzende kann dadurch die Beine ausstrecken und bequem einsteigen.

Weiteres Beispiel: Die Türen schwingen wie ein Vorhang nach hinten – aber ganz leicht, weil vorher ein Teil des Daches mitsamt der Tür nach Außen schwingt. Elektrisch und auf engstem Raum.

Die Windschutzscheibe im Redspace ist nach vorn gewölbt. „Das macht das Auto viel luftiger – und gibt Platz, um das Lenkrad wegzuklappen”, erklärt Bangle, und seine Augen blitzen vor Begeisterung. Denn mit dem Knick-Trick beim Steuer ist es auch möglich, den Vordersitz zu drehen, ein Tisch schwingt aus dem Dach – fertig ist der Konferenzraum auf Rädern. Auf dem eingebauten 17-Zoll-Bildschirm kann gleich die passende Präsentation abgespielt werden. Hilfreich, wenn mal wieder im Megastau von Shanghai nichts mehr geht.

Nicht ganz nebenbei ist der Redspace so auch fit für das gänzlich autonome Fahren. Das werde in den City-Autos ohnehin kommen, genau wie elektrischer Antrieb als Standard, so Bangle. Die Muttergesellschaft CHTC produziert schon seit Jahren elektrisch angetrieben Nutzfahrzeuge. Die Motorleistung des gezeigten Autos bleibt aber noch unter Verschluss. Bangles Reds kutschiert aber ein großes Solarpanel für die Aufladung der Batterien mit sich. „Auch an so etwas muss ein Designer heute eben denken.”

Die Jahrzehnte in den großen Teams der großen Hersteller vermisst der Designer genau deshalb auch nicht. „Da wurden neue Ideen oft auch in Konferenzen zerredet, weil sie angeblich nicht zur Marke passten”, erinnert sich Chris Bangle mit leicht gerötetem Gesicht. Jetzt gestalte er „Ideen für mobile Menschen” und das mache ihm so viel Spaß wie nie.

Der Reds sei auch kein wolkiges Concept Car, mit dem in den nächsten zwei Jahren zitternd die Akzeptanz auf Messen oder bei Car-clinics geprüft werden soll, sagt Bangle mit einer Spur Verachtung. Das Auto sei schon ein absolut funktionsfähiger und crashgetesteter Prototyp und werde in zwei, drei Jahren über Chinas Straßen rollen. Vor der Revolution wartet aber nun noch das Sandwich. Chris Bangle hat offensichtlich Appetit.

Text: Peter Weißenberg/SP-X
Fotos: Chris Bangle Associates, Peter Weißenberg (SP-X)

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