Ich bin der einzig Normale. Das merkt nur keiner, weil die Welt verrückt ist.
William James Sidis ist elf Jahre alt. Als Wunderkind – der Superlativ ist hier gerechtfertigt – und mit einem Vater als Lehrmeister gesegnet, hat er das Talent, der Gesellschaft große Dienste zu erweisen. Sein Vater hat ihn mit einem speziellen Lernprogramm unterrichtet, so erfolgreich, dass der Junge dieses Wissen problemlos weitergeben könnte. Das Ziel des Vaters wäre damit erreicht: den Bildungsstand der Menschen so weit wie möglich zu verbessern, so er das als Einzelperson tun kann. Stattdessen bricht William, kaum dass er erwachsen wird, mit nahezu allen Regeln des angepassten Lebens. Zu negativ erscheint ihm die Gesellschaft, der er mit seinen unglaublichen Talenten dienen könnte.
William James Sidis hat tatsächlich gelebt, von 1898 bis 1944, und er war tatsächlich jenes Wunderkind, das mit elf Jahren ein Universitätsstudium in Harvard aufgenommen hat. Vor dem realen Hintergrund entwirft Klaus Cäsar Zehrer einen Roman, der auf 650 Seiten anhand eines historischen Beispiels sehr aktuelle Fragen aufwirft. Vor allem: Wie finde ich mich in einer Gesellschaft zwischen (notwendiger) Anpassung und dem Wunsch nach einem ganz eigenen Leben zurecht? Die Frage stellt man sich auch dann, wenn man nicht – wie William – hochbegabt ist. Und die Idee, mit speziellen Programmen aus allen unterschiedlich talentierten Menschen Hochbegabte (Genies eben) zu machen, ist bis heute eine Idee geblieben. An der Brisanz von Zehrers Roman ändert das nichts.
Klaus Cäsar Zehrer: Das Genie. Diogenes Verlag; 25 Euro