Zwischen Ardèche und Alpen-Riesen: Die Tour in einem stolzen Land

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Der zweite Ruhetag, in diesem Jahr am Montag in der Nähe von St. Etienne, läutet im Allgemeinen das letzte entscheidende Drittel einer jeden Tour de France ein. So wussten auch wir heute (Dienstag) Morgen bei einem Blick aus unserem Hotelzimmer in einem kleinen beschaulichen Flecken zwischen Loire und der Ardèche, dass es im wahrsten Sinne des Wortes ein heißer Tag werden würde. Das Thermometer hatte über 30 Grad angekündigt und die Tour-Direktion mit der Streckenführung das Ihre dazu getan, dass heute ein Vorgeschmack auf die Alpen-Riesen anstehen würde.

Wir wollten dem Peloton, das am Dienstag durch das Rhonetal nach Romans-sur-Isère von den Schönheiten des Nationalparks in der Ardèche nicht sehr viel mitbekommen würde, etwas vorausfahren, um dann am Mittwoch, wenn es über die Riesen von Col de la Madeleine, Col de Télégraphe und Galibier ging, einen besonders guten Platz am Wegesrand zu erwischen.

Was uns dort erwarten würde, das war schon im Voraus zu erahnen. Ein mir seit vielen Jahren befreundeter Tour-Tourist von der Mittelmosel, der in jedem Jahr mit seinem Wohnmobil unterwegs ist, hatte sich bereits am Sonntagabend über sein Handy gemeldet und erzählt: „Ich habe mir einen schönen Platz am Aufstieg zum Galibier sichern können. Aber morgen bekommst Du wahrscheinlich hier keinen Zentimeter Boden mehr.“
Morgen, das wäre dann der Montag gewesen. Dabei stand die Überquerung des „Dachs der Tour“, des 2642 Meter hohen Col du Galibier erst am Mittwoch auf dem Programm.

Die sogenannten „Hardcorefans“ unter denen, die die „Große Schleife“ seit vielen Jahren begleiten, sind ohnehin sehr gewieft, was das erspähen und besetzen der besten Plätze angeht. Wer im Hochgebirge in den Savoier Alpen nicht spätestens zwei Tage vorher an Ort und Stelle ist, der hat keine Chance mehr, einen auch nur annehmbaren Platz zu ergattern, wo der Tross des Feldes ihm quasi „über die Füße“ fährt und er hautnah mittendrin im Geschehen ist.

Frankreich ist in diesen Tagen ohnehin in einer Art Blase der industriellen Lethargie und dennoch des nationalen und emotionalen Ausnahmezustandes. Die großen Autofirmen wie PSA (Peugeot, Citroën) oder Renault sowie deren Zulieferer machen traditionell im Juli Ferien. Da suchen die zu Hause gebliebenen Franzosen das Wasser an der Atlantik-Küste, am Mittelmeer auf. Oder sie ziehen sich in den Süden des Landes, in Provence, Ardèche, Camargue wie auch an die vielen Kanäle und Wasserstraßen im Landesinneren zurück.

Das, was Frankreich jetzt in erster Linie elektrisiert ist „le Tour.“ Die dreiwöchige Rundfahrt ist eine Art Nationalheiligtum. Kein anderes Land dieser Erde verbindet und definiert sich so sehr mit einem einzigen Ereignis wie die Franzosen das mit diesem unglaublichen Spektakel tun, das längst globale und finanzielle Ausmaße erreicht hat, die die Grenzen der Vorstellungskraft sprengen.

Auf unserer Fahrt Richtung Serre-Chevalier, wo wir für die Wochenmitte noch ein zu diesem Zeitpunkt halbwegs bezahlbares Hotelzimmer gefunden haben, begegnen uns die äußeren Zeichen des Unternehmens Tour de France auf Schritt und Tritt. Sogenannte „Villes fleuris“, Ort und kleine Städte, die im Wettstreit der Kommunen mit dem schönsten Blumenschmuck gegeneinander antreten, zieren unseren Weg.

Die Nation putzt sich heraus in diesen Tagen, an denen die halbe, ja inzwischen fast die ganze Welt ihr beim Blick auf die Radsportler regelrecht in die Wohnzimmer schaut. Da will man schließlich einen guten Eindruck hinterlassen. Drei junge Mädchen begegnen uns, lachen und winken. Sie haben sich den Landesfarben entsprechend – jeweils in ein weißes, rotes und blaues Kleid gehüllt und winken uns freudestrahlend zu. Am Mittwoch soll der neu gewählte französische Präsident Emanuel Macron zum ersten Mal in seiner Funktion als Staatsoberhaupt die Tour begleiten. Auf dem Weg über die schwersten Alpen-Riesen. Dort, wo es öffentlich am wirksamsten sein wird.

Davon werden wir nicht viel mitbekommen. Wir sind schließlich zum Arbeiten und nicht zum Winken nach Frankreich gekommen. Aber „Monsieur le Président“ gönnen wir seine Premiere im Tross des Peloton natürlich dennoch.

Text und Fotos: Jürgen C. Braun

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