Nio heißt auf Chinesisch „Weilai“ und bedeutet „Der Himmel wird blau“. Das Markenlogo ziert ein Symbol aus Himmel und Erde. Es prangt auf einem Supersportwagen mit dem Namen EP9 (Electric Performance). Unter dessen flacher Karbon-Karosserie stecken vier Elektromotoren mit zusammen 1.360 PS. Genug, um sich in 7,1 Sekunden auf Tempo 200 katapultieren zu lassen und mit 313 km/h über die Autobahn zu fegen. So stellt sich Chinas neue Automarke den Eintritt in eine saubere und bessere Welt vor.
Ein bekanntes Szenario, bei dem Skepsis angebracht ist. Anfang Januar präsentierte bereits der chinesische Milliardär Jia Yueting auf der CES in Las Vegas eine Elektrosportwagen-Studie mit 1.000 PS, ernannte sich flugs zum Tesla-Gegner und versprach, schon bald in der Wüste Nevadas eine Fabrik für E-Fahrzeuge zu errichten. Ausgerüstet werden sollen die Stromer mit Batterien, die doppelt so leistungsfähig seien wie jene renommierter Hersteller. Große Ankündigungen, geschehen ist wenig. Zwar fahren einige Prototypen in den USA herum, doch die versprochene Fabrik steht noch nicht. Angeblich stockt der Geldfluss.
NextEV will es anders, vor allem besser machen. Der EP9 stellt keine Studie dar. Es ist das fertige Serienauto. „Wir gehen nicht mit einem unfertigen Versprechen auf den Markt“, sagt Managing Director Hui Zhang. Kaufen und fahren können werden den sportlichen Super-Stromer allerdings nur Kunden in China. Fünf Exemplare sollen bereits verkauft sein. Den Preis hält man geheim, spricht stattdessen von einem Produktionswert von 1,2 Millionen Dollar.
Nio kündigt den EP9 als schnellstes Elektrofahrzeug (313 km/h) der Welt an. Es soll in erster Linie die technische Kompetenz des jungen Unternehmens unter Beweis stellen. Verwendet wird Renntechnik aus der Formel E, die NextEV voriges Jahr gewonnen hat. Doch einige wenige Modelle als „Eye-Catcher“ auf die Räder zu stellen, ist die eine Seite der Medaille. Ob die chinesische Firma wirklich in der Lage ist, eine Serienfertigung bezahlbarer Elektroautos sicher zu stellen, die andere Seite.
NextEV ist damit ein weiterer Quereinsteiger, der seine Zeit nicht mit der Entwicklung konventioneller Autos mit Verbrennungsmotoren verschwenden will. Man weiß schließlich, dass die 130-jährige Erfahrung der etablierten Autoindustrie niemals aufzuholen ist. Also setzt man gleich auf Elektromobilität. Hinter dem Unternehmen steckt ein ganzes Investoren-Konglomerat. Hauptgeldgeber sind unter anderem Tencent (so etwas wie Facebook in China), der Computer-Hersteller Lenovo sowie eine Reihe von Kapitalgesellschaften und Internet-Millionären. Zu letzteren gehört William Li, der Gründer von NextEV. Der 42-jährige gründete in China 2010 die Plattform bitauto.com, die heute zu den größten Anbietern von Online-Inhalten und Marketing-Dienstleistungen für die chinesische Automobilindustrie zählt.
Die Zentrale von NextEV sitzt in Shanghai. Gebaut wird der EP9 in Nanjing. Die Konstruktions-, Forschungs- und Entwicklungszentren sind in San José, Peking, Hongkong und London angesiedelt. München beherbergt das Design sowie die Marken- und Produktentwicklung. Im vornehmen Stadtteil Bogenhausen arbeiten derzeit 75 Designer aus 26 Nationen. NextEV hat weltweit knapp 2.000 Mitarbeiter rekrutiert. Nicht wenige kommen von Audi, BMW, Bentley, Aston Martin, Mercedes, Alfa Romeo.
Der EP9 verblüfft die Autowelt zunächst mit Leistungsdaten jenseits aller Normalität. Vier Elektromotoren sollen exakt 1.000 kW liefern. Der Physiker würde von einem Megawatt sprechen, der Stammtisch eher von 1.360 PS. Jede E-Maschine liefert unglaubliche 1.480 Newtonmeter Drehmoment aus dem Stand heraus. Es gehört nicht viel Fantasie dazu zu erahnen, was passiert, wenn das Fahrpedal niedergetreten wird. 2,7 Sekunden sollen für den Sprint von null auf 100 km/h reichen. Nach 7,1 Sekunden sind 200 km/h erreicht. Hier könnte nicht einmal ein Porsche 911 Turbo S mithalten. Die Rücklichter des EP9 würden die Zuffenhausener auch auf der Nordschleife des Nürburgrings sehen. Kürzlich unterbot der China-Kracher dort den Rundenrekord für Elektrofahrzeuge um über 16 Sekunden auf 7:05,12 Minuten. Zum Vergleich: Die Bestzeit des Turbo S liegt bei 7:18 Minuten.
Die geballte Energie des Nio EP9 sitzt in den breiten Seitenschwellern. Jedes Batterie-Paket wiegt 320 Kilogramm und lässt sich bei Bedarf in acht Minuten austauschen. Die Reichweite gibt NextEV mit 427 Kilometern an, mag aber den Zulieferer nicht nennen. Zumindest die Elektromotoren sollen eine Eigenentwicklung sein.
Die Produktion des 4,89 Meter langen und 2,23 Meter breiten EP9 ist limitiert. Auf wie viele, darauf will man sich noch nicht festlegen. „Je nach Auftragseingängen werden es 100 bis 200 Einheiten sein“, sagt Designchef Kris Tomasson, zuvor bei Ford und BMW unter Vertrag. Parallel bereitet die neue chinesische Automarke den Launch eines zweiten Modells vor, deutlich volksnaher als der EP9. Vermutlich handelt es sich um einen viertürigen Crossover. Er soll Ende 2017 vorgestellt werden und 2018 in den Markt gehen. Ebenfalls nur lokal in China. „Obwohl wir bereits global arbeiten, ist unser Bestreben, die Marke zunächst in der Heimat zu etablieren“, sagt William Li. Vor 2020, so ein Insider, wird in Europa kein Nio-Modell auf der Straße sein.
Text: Michael Specht/SP-X
Fotos: NextEV/SP-X