Dienstag, 30. August 2016. Kapstadt/Südafrika.
Acht Uhr morgens, elf Grad Celsius. Heidi steht seit gut einer Stunde am Hafen, hüpft von einem Fuß auf den anderen. Warten ist so gar nicht ihr Ding, aber jetzt wartet sie darauf, dass ihr Hudson Great eight (liebevoll Hudo genannt) in Afrika das Licht des Tages erblicken darf.16:05 Uhr: Die Northern Delegation hat ihre Position erreicht. Aber Heidi Hetzer hat erst morgen um 13.45 Uhr einen Termin beim Zoll …
Über vier Wochen hat sie Hudo nicht gesehen. Am 6. August ist er auf die Tabea verladen worden, ein Containerschiff der Hamburg-Süd-Reederei. In Santos/Süd-Brasilien sollte Hudo auf die Polon umgeladen werden und am 19. August in Kapstadt sein. Aber es kam anders. In Santos war sehr schlechtes Wetter, und als die Tabea ankam, hatte die Polon schon abgelegt. Es folgte die Umladung auf die Northern Delegation.
Heidi Hetzer blickt zurück auf den August 2016. Eigentlich wollte sie ja schon im Juli wieder zu Hause in Berlin sein. Aber inzwischen pfeift sie auf den Zeitplan! Heute ist sie genau 762 Tage unterwegs; genauso lange hat ihr großes Vorbild Clärenore Stinnes gebraucht. Aber Heidi ist noch nicht daheim. (Auf welchem Erdteil liegt Berlin?, ist sie in Kapstadt während eines Radio-Interviews gefragt worden …)
Nun denn, langweilig war ihr nicht in diesem Sommermonat (der ja nur in Europa ein Sommermonat ist). Heidi Hetzer ist sowas von neugierig, unternehmungslustig und immer offen für alles. Diese Frau ist einfach phänomenal!
Bevor Hudo gut verpackt in Buenos Aires auf seine lange Reise nach Kapstadt wartete, stand er nämlich noch mal drei Tage in einem Oldtimer-Museum. Auch dieses Museum: Top gepflegt und eine Wohltat für die Augen und für Heidi's Oldtimerherz. Hier präsentierte man ihr sogar ein Rallyeschild von der Rallye Monte Carlo 1972. Heidi musste schmunzeln: Sie hatte mit ihrem Copiloten Kurt Kutte Klein 1972 die Startnummer 246.
Ihre Entdeckerseele blieb natürlich nicht untätig in der argentinischen Hauptstadt. Nein weit gefehlt. Heidi Hetzer machte mal eben einen Abstecher nach Montevideo/Uruguay. Sie fuhr mit der Fähre Buquebus, die dank Düsenantrieb mit über 110 Stundenkilometern über den Rio de la Plata sauste.
Zurück in Buenos Aires ging sie weiter auf Entdeckungstour. Aber es war Winter, meist regnete es und die Bäume waren kahl. Doch sie fand trotzdem die schönen Plätze in der argentinischen Hauptstadt, die sich anzuschauen lohnten.
Das Teatro Colon zum Beispiel. Kein Geringerer als Daniel Barenboim dirigierte dort das Orchester, dem sie andächtig lauschte. Natürlich hat sie auch den Besuch auf dem Friedhof Recoleta nicht ausfallen lassen, denn das Grab von Evita Perón gehört schließlich zum Pflichtprogramm. Überhaupt hat Buenos Aires sie sehr beeindruckt.
Und zwar nicht nur wegen der wunderbaren Zufälle, die sie dort erlebte. Heidi Hetzer musste wegen des verlorenen Passes zur Deutschen Botschaft. Hier traf sie Jorge Ferreyra Basso. Sagt Ihnen im Moment nichts? Aber Heidi Hetzer konnte sehr wohl etwas mit ihm anfangen: Jorge ist ein großer Künstler. Und er war unter anderem Designer bei Opel.
Sie traf auch Carlos, der vor 18 Jahren in Frankreich eine Rallye gefahren und sich damals von Heidi Hetzer einen Opel-Schirm geborgt hatte. Carlos hatte von einer Hetzer gehört, die gerade in Buenos Aires sei. Volltreffer: Es war genau DIE Heidi, die er damals kennengelernt hatte.
Ihre Neugier führte sie auch zum berühmtesten Fußballstadion von Argentinien, dem CABJ (Club Atletico Boca Juniore). 23 Mal waren sie Fußball-Meister ihres Heimatlandes; sie wurden nur von Bayern München überholt. Die waren nämlich 26 Mal deutscher Meister.
Ja ja, nicht nur Heidi Hetzer hinterlässt so manche Spuren … Im Gedächtnis und überhaupt: So hat sie zum Beispiel in Buenos Aires einen Backenzahn gelassen. Der hat sie ein paar Tage gequält, bis sie entschlossen zu einem Dentist gegangen ist. Und weg war er – der blöde Zahn.
Am 6. August – dem ersten Wettbewerbstag der Olympischen Spiele – flog Heidi Hetzer nach Rio. Morgens noch hatte sie Hudo gut und sicher verpackt auf dem Containerschiff verabschiedet. In Rio hatte sie einen ganz kurzen Aufenthalt. Gerade so lang, um später sagen zu können, sie war auch in Brasilien. Dann flog sie weiter nach Dubai. 14 Stunden lang. Es hielt sie nur ein paar Tage in den Vereinigten Arabischen Emiraten, doch dafür hat sie eine Menge gesehen:
Die künstliche Insel Palm Jumeirah mit dem sagenhaften Hotel Atlantis-Palm-Hotel, die weltweit einzige sieben-Sterne-Absteige Burj al Arab, das mit 830 Metern das höchste Gebäude der Welt, das Burj Kalifa sowie eine Wüstenrallye vor den Toren der Stadt mit weiblichen Bauchtänzerinnen und männlichen Derwischen und allem PiPaPo. Aber in diese moderne Luxusstadt passt Heidi Hetzer nicht rein. Es ist zwar ein steinreiches Land, ein neureiches Land, aber es gibt überhaupt keine Oldtimer dort.
Heidi Hetzer flog schon ein paar Tage später zurück nach Kapstadt. Hier wohnte sie – wie fast immer – bei Freunden. Dieses Mal direkt am Fuß des Tafelbergs. Nachdem sie den fünften Kontinent erreicht hatte, blieb ihr auch hier der Zufall hold: Bei der Deutschen Botschaft traf sie Nadja Ellerholz. Die hatte als 18-Jährige bei Opel Hetzer in Berlin ihr erstes Auto gekauft. Einen Opel Corsa. Die Welt ist groß – und doch so klein …
Sie wohnte ein paar Tage bei Nadja und Andreas. Die Ellerholzens sind wahre Oldtimer-Liebhaber. Gemeinsam besuchten sie das Franschhoek Motor Museum. Und wieder ging Heidi das Herz auf: Was für wunderschöne alte Autos sind dort zu sehen. Zum Beispiel Borgward Caravan, Maserati Rennwagen, ganz alte Rolls Royce und Nelson Mandelas BMW mit den kugelsicheren Scheiben.
Inzwischen hat Heidi Hetzer erfahren, dass Hudo in Santos den Anschluss verpasst hat und die neue Ankunftszeit von Hudo am Freitag, dem 26. August sein würde. An diesem Tag stand sie mit dem Fernglas auf dem Leuchtturm Green Point. Die Northern Delegation schippert unter libanesischer Flagge, wurde 2008 gebaut und bewegt sich mit 16 Knoten über das Meer.
Doch was nützt das unserer lieben Heidi Hetzer, die am Kai stand und sehnsüchtig darauf wartete, ihren Hudo wieder in Empfang zu nehmen? Das Schiff kam nicht am Freitag; es wurde Montag. Sie musste sich also noch die Zeit vertreiben. Im Kirstenbosch Garden, einem von vielen Nationalparks rund um Kapstadt. Und den Tafelberg hat sie sich angetan, also nicht immer nur von unten gesehen, sondern ihn sogar erklommen. An diesem Tag hatte er keine Tischdecke aufgelegt. Tischdecke nennen die Einheimischen den Zustand, wenn der Gipfel in Wolken liegt. Erstaunt hat Heidi Hetzer festgestellt, dass der Tafelberg gar nicht so platt ist, wie man immer annimmt. Der hat ganz schöne Ausmaße: Man geht fast eine Stunde von einem Ende zum anderen. Und das in 1000 Metern Höhe. Hier sind viele Touristen hier, aber man sieht sie nicht, denn das Gelände ist sehr weiträumig.
Alles schön und gut, um seine Nervosität zu übertünchen. Heidi geht es gut. Sie hat wundervoll geschlafen, die Sonne scheint – und sie flattert nur noch dem Zolltermin entgegen: 13:45 Uhr.
Heidi Hetzer darf zwar schon einmal in den Containerhafen und das rote Bett von außen anschauen, aber noch ist die gelbe Zollplombe drauf. Endlich ist es soweit: Sie hält das Carnet in der Hand mit allen erforderlichen Stempeln.
Aufwachen, Hudo, du bist in Afrika. Er scheint die Reise gut überstanden zu haben. Er sprang sofort an und Heidi zeigte ihm auf einer ersten Testfahrt die Schönheiten Kapstadts. Ihr erster Kommentar nach der Wiedervereinigung mit Hudo: Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt.
Den nächsten Bericht lesen Sie am 30. September 2016.
Text: Jutta Sein
Fotos: Heidi Hetzer