Liebe Leserin!
Lieber Leser!

Während Sie diese Zeilen (hoffentlich) lesen, fahren im westlichen Teil der Republik, an der Mosel, und auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz im Hunsrück, kleine Autos mit unvorstellbarem Karacho vor Zehnausenden von Menschen herum. Diejenigen, die ihnen dabei zuschauen, sind völlig aus dem Häuschen, wenn die waghalsigen Piloten in engsten Kurven die Fahrzeuge quer stellen, mit Ihnen 40 oder 50 Meter über Kuppen springen, durch Weinberge, und über Rüttelrouten aus Beton rasen, dass es nur so scheppert und kracht innen drin.

Und das Ganze bei etwa 30 Grad Außentemperatur und geschätzten 60 Grad in den Fahrzeugen. Dort sitzen die jungen Männer dann in feuerfester Unterwäsche, mit einem Rennoverall bekleidet, haben einen Helm und eine feuerfeste Mütze auf. Sie tragen ein sogenanntes HANS (Head and Neck Support) zum Schutze der oberen Extremitäten. Und sie hoffen, dass sie heil wieder ankommen nach dieser Tortur und nach ein paar Kilometern. Um das Gleiche dann kurz darauf wieder zu tun. Bleibt die Frage, warum macht man so etwas eigentlich?

Das Ganze nennt sich Rallye Deutschland. Veranstalter ist der ADAC und das Spektakel dauert drei Tage. Es ist ein Teil der Rallye-Weltmeisterschaft. Die zieht mit 16 verschiedenen Läufen rund um den Globus mit Autos, die Sie und ich normalerweise im Alltag fahren. Mit denen Sie ihre Brötchen beim Bäcker abholen, zum Friseur fahren oder das sie vielleicht (gebraucht oder neu) Ihrem Sohn oder Ihrer Tochter verschenken. Autos, deren Namen wir alle kennen und die auf jedem Internetportal gehandelt werden. VW Polo, Ford Fiesta, Renault Clio, Hyundai i20. Um nur einige zu nennen.

Viel übrig außer der schemenhaften Optik eines Volkswagen Polo bleibt dem Fahrzeug, dass der Weltmeister Sébastien Ogier, der ein solches Auto fährt, nicht. Haben normale Kleinstfahrzeuge irgendwo so zwischen 50 und 70, maximal 80 PS und bieten neben einem leidlich großen Kofferraum noch vier Personen Platz zum Mitfahren, so sind Polo und Co. von Freitag bis Sonntag ausgeschlachtet bis zum geht nicht mehr. Ausgehöhlt, versehen mit festen Stangen und Streben, die den Insassen bei einem Überschlag Schutz bieten sollen. Und mit griffbereit montiertem Feuerlöscher, um möglichst schnell das möglichst Schlimmste verhindern zu können.

Warum also werden Autos gebaut, die ein Exzess dessen sind, was sich normalerweise auf unseren Straßen tummelt? Und warum machen sich in diesen Tagen weitaus mehr Menschen aus halb Europa auf, um diesen „fliegenden Hasenkästen“ hinterher zu fahren, um sie auf Abertausende von Handyfotos zu bannen als dies bei der sogenannten Königsklasse des Motorsports, der Formel 1, der Fall ist? Vielleicht auch deshalb, weil sich die ehemalige „Schumi-Liga“ mittlerweile in exaltierender Langeweile selbst ins Abseits fährt. Auf Kursen, die am Reißbrett geschneidert sind und keine Identität, keine Seele haben.

Zwar dominiert auch bei den zirzensischen Vorführungen der rund 350 PS starken kleinen Monster das Haus Volkswagen, aber die Ausgangslage ist eine andere. Der Reiz des Ungewohnten, das ultimative Bewegen eines Kleinstfahrzeugs am Limit auf abgesperrtem Terrain, das ansonsten für Pkw, Traktoren oder auch Fahrräder freigegeben ist: Nein, so etwas bietet keine blank geputzte Motorsportarena, an der Kollege Computer bis auf Tausendstel im Voraus den Sieger ausgerechnet hat. Es sei denn, die Unbekannte namens Mensch funkt dazwischen.

Und deswegen, weil alles genau so ist, freue ich mich auch in diesem Jahr wieder auf die Rallye-Weltmeisterschaft in Deutschland.

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.

Ihr Jürgen C. Braun

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