Wir schreiben das Jahr 1958 (ja, richtig gelesen!), und die 52-jährige Grete Willinsky schreibt für die Büchergilde, die bekannte Buchgemeinschaft, ein Kochbuch. Es erfährt mehrere Auflagen und ist irgendwann vergriffen. 2013 stellt die Gilde ihren Mitgliedern eine Anzahl vergriffener Bücher zur Auswahl, von denen eines zum 90. Gilde-Geburtstag 2014 wieder erscheinen soll. Leser(innen)Liebling wird, gegenüber den Mitbewerbern haushoch – das über 50-jährige Werk von Grete Willinsky.
Die Rezepte sind klar und kurz formuliert, kommen ohne komplizierte Sätze aus und sind mit zahlreichen Ausrufezeichen versehen – auch, wenn es darum geht, den Hintergrund einer Speise zu erläutern oder geeignete Beilagen aufzuführen. Außergewöhnliche Rezepte, die sich nicht für jeden Tag eignen oder nicht jedermanns Geschmack sind, heißen bei ihr etwa apart!. Das mutet aus heutiger Sicht geradezu streng an, zeigt aber den Wert des Buches als historisches Dokument. Die Rezepte selbst sind übrigens gar nicht so historisch, sondern bisweilen verblüffend modern! So kommen nicht nur Liebhaber von Kalorienbomben, sondern auch Rohkostfans und Freunde von Flockenspeisen auf ihre Kosten – später würde man das vereinfacht Müsli nennen. Dafür finden sich viele Grundbegriffe, die zu wissen nicht schaden kann, die aber heute gerne in Vergessenheit geraten. Oder, ganz ehrlich, wissen Sie auf Anhieb, wie man Zucker läutert? Es muss auch nicht immer Fleisch sein, oft stellen raffinierte Kartoffelgerichte mit Salat eine eigenständige Mahlzeit. Alles andere als selbstverständlich im Wirtschaftswunderdeutschland. Aber gerade bei traditionellen Speisen zeigt sich Willinsky detailbewusst, gehört bei ihr, um nur ein Beispiel zu nennen, zum Fleischteig für Königsberger Klopse doch immer auch – ein Hering!
Die Illustrationen von Gerhard Oberländer ergänzen die klaren Rezepte der Autorin vorzüglich. Die stellt man sich beim Lesen vielleicht vor als gestrenge, aber freundliche Hauswirtschaftslehrerin. Weit gefehlt – die 1906 geborene und 1983 gestorbene Autorin war Philologin mit Erfahrung in Pressearbeit und literarischem Übersetzen. Vor allem die Pressearbeit dürfte in dieses Buch eingeflossen sein.
Aus damaliger Sicht ein typisches Kochbuch zum Lernen von der Pike auf (für den Hausgebrauch), und das ist es auch heute noch. Nur – genau genommen – zu schade, um es beim Kochen neben die Utensilien zu legen. Von wegen Fleckengefahr und so. Vielleicht entgeht man dem Dilemma, indem man sich die favorisierten Rezepte von Hand abschreibt für den Alltagsgebrauch. Was man immer wieder kocht, wird einem bei so klaren Anleitungen ohnehin mit der Zeit auch ohne schriftliche Unterlage von der Hand gehen.Mitglieder der Büchergilde können das Buch aktuell regulär im Programm finden. Nichtmitglieder werden im unter anderem im Internet fündig, wo Second-Hand-Exemplare angeboten werden. Da variieren die Preise freilich gewaltig.
Grete Willinsky: Kochbuch der Büchergilde. Büchergilde; 29,90 Euro.