Heidi Hetzer: Mitten im Paradies

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Tick, Tack, Tick, Tack. Die Uhren gehen für alle Menschen auf dieser Welt gleich. Die Sekunden, Stunden, Wochen und Monate. Warum nur kommt die Zeit jedem anders vor? Wieso hat jeder sein ganz eigenes Zeitempfinden? Das ist eine Frage für Psychiater, aber auch die haben keine richtige Antwort darauf.

Und zack: Ist wieder ein Monat vorbei. Für Heidi Hetzer beginnt heute schon der 17. Monat nach dem Start zu ihrer ganz persönlichen Weltreise.Gestern war Thanksgiving in Amerika. Das heißt zwar Erntedankfest, ist aber etwas ganz anderes als bei uns in Deutschland. Mehr Rummel und viel mehr Familienfest. Heidi Hetzer hat diesen Tag in Naples verbracht, an der Ostküste von Florida, sozusagen mitten im Paradies. Sie wohnte bei Heidi und Rolf – Freunde aus Berlin. Hier macht sie ein paar Tage Pause. Nicht nur für sich, sondern vor allem auch für Hudo, der nach einem sehr langen Werkstatt-Aufenthalt schon wieder über 300 Kilometer mit dem neuen Motor gefahren ist. Recht langsam hat Heidi ihren fahrbaren Untersatz bewegt. Schließlich sind sie ja noch in der Einfahrphase.

Dieser November fing schon mal gut an: Erst hat sie aus ihrer Handtasche ihren Pass verloren. Überall hatte sie Zettel hingehängt. Und: Es hat tatsächlich geholfen. Ein Nachbar hatte ihn gefunden.Als sie gerade Richtung Wilmington unterwegs war, hörte Heidi Hetzer ziemlich unangenehme Geräusche unter Hudo's Motorhaube. Sie machte sofort die Zündung aus und einen neuen Startversuch. Oje, das hörte sich nicht gut an. War wohl was Größeres. Also tuckerte sie über den Ocean Highway wieder zurück nach Wilmington. Plötzlich stand sie – vor einer Klinik. Soweit so gut. Aber es war eine Tierklinik.

Hudo sagte kein Wort mehr. Es hörte sich an wie ein Pleuelschaden. Dabei hatte der Motor seit Melbourne doch erst 20.000 Kilometer auf dem Tacho. Heidi Hetzer war zum Heulen. Ende Oktober stand sie dann wieder in der Werkstatt von Autoworks. Sie spendierte Hudo eine neue Dichtung und eine neue Ölwanne. Doch das Geräusch blieb. Zylinderkopf runter. Und da hatten sie den Salat: Der zweite Kolben war angeknabbert und die Kolben und Ölabstreifringe gebrochen. Heidi Hetzer machte ihre ganz eigenen Fotos für das Gruselkabinett aus KÜS magazin.

Sie telefonierte wie wild in der Gegend herum. Solche Kolben gab es nicht an jeder Straßenecke, immerhin war Hudo ein 3,4-Liter-8-Zylinder aus dem Baujahr 1930. Schließlich hatte sie in zwei Werkstätten neue Kolben bestellt – doppelt gemoppelt hält besser. Sie wollte doch Samstag früh zu einer Oldie-Show nach Hilton Head Island.

Der Motor war doch erst in Melbourne von einem bekannten Ingenieur völlig überholt und neu eingebaut worden. Wie man sich irren kann. Aber Heidi Hetzer will nicht nach hinten schauen. Sie will fahren. Aber ihr Wille hilft ihr im Moment auch nicht weiter. Sämtliche Lagerschalen sind in einem desolaten Zustand. So kann sie unmöglich durch Südamerika und Afrika fahren. Also hieß es wieder: Warten.

Es stellte sich dann auch noch heraus, dass die Werkstatt die falsche Kolbengröße bestellt hatte. Übrigens bei beiden Lieferanten. Zudem musste sie das ganze Wochenende auf die UPS-Lieferung warten. UPS hatte nämlich einen Kolben irrtümlich nach Kentucky geschickt. Es war zum Mäusemelken. An Wochenenden wird nämlich auch in den USA nur das Allernötigste angefasst. Und ein Kolben war ja nicht so richtig notwendig …

Also wieder zurück zu ihrer Familie nach Wilmington. Eigentlich wollte sie ja nur kurz bleiben, aber wie sagt das alte Sprichwort: Fische und Freunde fangen nach drei Tagen an zu stinken … Aber das war ihr jetzt egal. Es war ja eine Zwangspause. Schwager Horm hatte ihr das VW Beetle-Cabrio geliehen. Welch ein Luxus: Klima-Anlage, Radio, Servo-Lenkung, Automatik-Getriebe … Heidi kam ins Schwärmen.

Wie will sie denn jetzt noch die Kilometer zählen? Zählt sie nur die auf vier Rädern gefahrene Strecke? Die Strecke auf Abschleppwagen, am Seil, im Containerschiff? Ach was, darüber macht sie sich keinen Kopf. Mit diesem VW Cabrio kam sie wenigstens zum Oldie-Treffen nach Hilton Head Island, so wie ja ursprünglich mit Hudo hinfahren wollte. Dieses Motoring Festival der Oldtimer fand auf einem riesengroßen Golfplatz statt. Heidi Hetzer's Herz ging auf: Was für schöne Oldtimer! Einer schöner als der andere. Ihr tat der Rasen so leid, denn die tausenden von Besuchern scherten sich überhaupt nicht darum, dass sie auf geheiligtem Boden herumtrampelten …

Dafür ist ihr eine andere Erkenntnis in den Sinn gekommen (typisch Heidi Hetzer: Immerzu denkt sie an Hudo): Die Amerikaner sind sehr freundlich und hilfsbereit. Man soll zwar niemals alle Menschen über einen Kamm scheren, aber viele der Werkstatt-Inhaber und Mechaniker, die Heidi Hetzer auf ihrer Weltreise kennengelernt hatte, waren sowas von zuvorkommend: Heidi, don't worry. Wir machen das schon.

Aber zwischen helfen wollen und helfen können liegen doch manchmal Welten. Und so fuhr Heidi Hetzer mit einem lendenlahmen Hudo schließlich vom Hof. Eine Weile jedenfalls gehorchte Hudo ihr wieder und zuckelte durch Carolina. Nicht lange, dann musste sie wieder einen Abschleppwagen bestellen. Hudo wurde auf einen Hänger geladen.

Das nächste Ziel hatte Heidi Hetzer natürlich schon im Visier: Es war David's Werkstatt in Charlotte. Sie hatte sich schlau gemacht: David war ein echter Hudson-Spezialist. Und der ließ sie nicht eher wieder rausfahren, bis alles 100 Prozent in Ordnung war. In der Zwischenzeit und für die Dauer des Werkstatt-Aufenthalts hatte er ihr seinen MGB geliehen, damit sie beweglich ist.

Ja, beweglich ist sie auf jeden Fall. Sie machte recht viele Ausflüge ins Paradies von Florida. Heidi Hetzer ist doch so neugierig. In der Kirche von Calgary hat sie zum Beispiel Kerzen angezündet für ihre Tochter Marla, die just an dem Tag Geburtstag hatte.

Und aus noch einem ganz anderen Grund musste sie beweglich bleiben: Es ging auf das Ende der Reparaturzeit zu und sie brauchte Bargeld. Der Gang zum Geldautomaten der City-Bank war ja nun für sie reine Routine. Aber diesmal war es ganz anders: Sie hatte zwei Mal einen Zahlendreher in der PIN-Nummer – und weg war sie, die Kreditkarte. Im Orbit beziehungsweise im Geldautomat verschwunden. Und jetzt?

Naja, es hört sich hier kurzweilig an, aber tatsächlich war die Bargeldbeschaffungsaktion mit vielem Hin und Her, mit vielen Telefonaten und anderen Kommunikationsmitteln verbunden. Schließlich hat ihr Sohn ihr von Berlin aus Bargeld nach Charlotte schicken können. Hören Sie Heidi's Rat: Sollten Sie ein Konto bei der City-Bank haben: Wechseln Sie die Bank. Denn im Umkreis von 1.000 km gab es keine Filiale, wo Heidi Hetzer hätte Geld abheben können.

Am 20. November schließlich – David hatte das ganze Auto auseinandergenommen und akribisch wieder zusammengebaut – lief Hudo's Motor wieder rund und auch äußerlich war er fast wie neu. Die Bremsen waren okay, Stoßstangen gerichtet, Öl kontrolliert, alles abgeschmiert und ab auf Probefahrt.Doch nach einer recht kurzen Proberunde packte Heidi wieder das Fieber: Sie will fahren, fahren, fahren. Und sie will so viel wie möglich sehen. Auf ihrer Reise durch Florida hat sie selbstverständlich auch einen Abstecher nach Daytona Beach gemacht. Für eine Handvoll Dollars durfte man sogar am Strand entlang fahren.

Heidi Hetzer's Welt war wieder in Ordnung. Aber das konnte ja nicht lange so bleiben. Oder? Stimmt. Jetzt hat sie ihren Spotty verloren. (Der Spotty ist das Gerät, das nicht nur ihren momentanen Standort anzeigt, sondern auch die bisher zurückgelegte Strecke aufzeichnet).

Überall hat sie Zettel angeschlagen, um Spotty wiederzufinden. Er war in einem Schaumstoff-Handschuh versteckt. Der Handschuh war noch da, aber Spotty war weg. Heidi Hetzer ist dahin zurückgefahren, wo er sich zum letzten Mal gemeldet hatte. Aber an dieser Kreuzung fand sie – wie gesagt – nur den Handschuh.

Seit gestern ist sie nun in Naples – und hat einen neuen Spotty: Bei BestBuy bestellt und jetzt zeichnet er auch wieder auf. Wir sind gespannt auf ihre nächste Positionsmeldung. Kuba: Ich komme.

Text: Jutta Sein
Fotos: Heidi Hetzer

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