Victorias Situation ist sicher typisch für die vieler junger Frauen anno 2015: Vom Vater ihrer beiden Kinder hat sie sich getrennt, nicht im Streit, aber sie ist eben allein erziehende Mutter. Zudem steht sie vor einer neuen Herausforderung als Journalistin. Job, Kinder, Haushalt – die Freizeit wird da unvermeidlicherweise knapp.
Entsprechend begibt sie sich am Ende des Tages regelmäßig in ihre virtuelle Stammkneipe, wie sie das nennt – und lernt dort Kai kennen bzw. Kais Kommunikation. Die beiden tauschen sich elektronisch aus, und das immer privater, immer engmaschiger. Allein zu einem persönlichen Treffen kommt es nie, was die elektronische Verständigung durchaus trübt. Eine Freundin von Victoria spürt dem Ganzen schließlich anhand von dem nach, was Victoria preisgibt. Das Ergebnis ist unglaublich: Kai gibt es ebenso wenig wie seine Angaben zur eigenen Lebensgeschichte und die in ihr vorkommenden Personen. Jedenfalls gibt es den Menschen nicht als Kai. Dafür gibt es Hinweise darauf, dass Kai noch unter anderen Namen im Internet exisitiert. Im Plural, wohlgemerkt.
Victoria Schwartz beschreibt bemerkenswert kühl (und genau deswegen geht die Lektüre nahe!), wie sehr sie diese unausweichliche Erkenntnis rein emotional getroffen hat. Wie schnell eignet sich eine nur virtuell bekannte Person dafür, alles, was man im eigenen Leben vermisst, auf diese zu projizieren. In der Falle ist man schneller, als man meint, denn via Internet wird nun mal nicht nur geflirtet, da werden auch rein freundschaftliche Kontakte unterhalten. Gerade in Zeiten, in denen viele Menschen so leben (müssen) wie Victoria, hat dieses Buch einen hohen Informationswert. Dazu auch unbedingt das Vorwort von Sascha Lobo lesen! Eine Frage freilich kann dieses Buch nicht oder nur ansatzweise beantworten – das ist schon eine Herausforderung für die Psychologie als Wissenschaft: Welche Menschen sind das und was treibt sie dazu, im Internet gleich mit verschiedenen Profilen unterwegs zu sein und ebenso ganz verschiedene fiktive Biographien parat zu haben und zu pflegen?
Victoria Schwartz: Wie meine Internetliebe zum Albtraum wurde. Blanvalet Verlag; 12,99 Euro.