Tradition: 80 Jahre Stromlinie

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Sie war eine dynamische Gegenbewegung zur Weltwirtschaftskrise. Von Amerika ausgehend erfasste die Mode des schwungvollen „Streamlined Styling“ alle Lebensbereiche. Von Küchengeräten übers Mobiliar, Wohnwagen, Lokomotiven bis hin zu Autos, alles sollte stromlinienförmig gestaltet sein für eine Ära des Aufbruchs zu neuem Wohlstand und hoher Geschwindigkeit. Futuristische aerodynamische Limousinen, die ihrer Zeit weit voraus fuhren für neue Freeways, Autobahnen und Autostrada revolutionierten das Automobildesign – und endeten doch allzu oft als kommerzieller Flop. Ein Aerotrend, dessen Initialzündung vom Chrysler Airflow 1934 in New York gesetzt wurde.

Chrysler-Konstrukteur Charles Breer hatte sich an Flugzeugen und der V-förmigen Flugformation von Vögeln orientiert, als er in Windkanalversuchen das Design des Airflow entwickelte. Während in Europa bis dahin fast nur Prototypen im Stromliniendesign vorgestellt worden waren, lösten die Großserienmodelle von Chrysler nun einen wahren Hype aus: Mehr als ein Dutzend Marken präsentierten schon 1935 neue vom Wind geformte Modelle. Eine Mode, die sogar das ferne Japan erreichte, wo Toyota sein allererstes Serienfahrzeug ebenfalls im schicken Aerodesign einführte.

In den Fokus der automobilen Formenfinder und Ingenieure war die Aerodynamik schon nach dem Ende des Ersten Weltkriegs geraten. Vor allem Flugzeugbauer wie der deutsche Edmund Rumpler und der Österreicher Paul Jaray waren es, die Anfang der 1920er-Jahre mit tropfenförmigen Autos sensationelle cw-Werte erzielten. Statt Ruhm ernteten die heute hoch geehrten Pioniere damals eher den Spott der Presse und die Häme der Konkurrenz. Erst zehn Jahre später schien die Zeit reif für Formen, die dem Wind den geringstmöglichen Widerstand entgegensetzen. Mercedes-Benz etwa orientierte sich 1935 mit einem Prototypen explizit am Jaray'schen Prinzip, präsentierte aber auch den 500 K mit stromlinienförmiger Karosserie als Superstar der Berliner IAA. Dieser sogenannte Autobahnkurier mit seiner kompressoraufgeladenen 118 kW/160 PS starken 8-Zylinder-Maschine war mit bis zu 160 km/h unbestrittener Speedmaster auf den neuen Schnellstraßen. Zum Vergleich: Der Mercedes Typ 130 erreichte gerade einmal 92 km/h. Gleichwohl legte Mercedes schon 1936 nach und präsentierte den nunmehr 170 km/h schnellen 540 K Autobahnkurier.

Vielleicht auch als Statement gegen andere Ultra-Luxusmarken, die damals mit Stromlinienmodellen auf europäischen Messen für Furore sorgten. So etwa der Aerosedan Silver Arrow der amerikanischen Nobelmarke Pierce-Arrow, der mit einer 7,6-Liter-V12-Maschine bewehrt war und mit dem Slogan beworben wurde: „Plötzlich ist es 1940! Allerdings war die traditionsreiche Marke schon weit vor 1940 insolvent. Ein Schicksal, das der deutsche Prestigehersteller Röhr mit seinem Achtzylinder-Stromlinientyp 8 FK Olympier teilte. Die Zukunft im Namen trug auch der aerodynamische Volvo PV36 Carioca, wenn auch weniger weitsichtig. Stand doch PV36 für PersonVagnar (Personenwagen) 1936, eingeführt wurde der Volvo knapp vorher – im Vorjahr. Dafür wirkte der Carioca mit sämtlich an den B-Säulen aufgehängten vier Türen kühn wie ein Concept Car und ließ die meisten etablierten Limousinen alt aussehen.

Trotzdem konnte der avantgardistische Sechszylinder zu wenige der damals noch weitgehend konservativen Käufer überzeugen. So wurden vom Carioca bis 1938 lediglich 500 Limousinen und ein Cabriolet verkauft, während die parallel angebotenen traditionellen Volvo-Modellreihen wesentlich erfolgreicher waren. Dennoch wird der Volvo PV36 Carioca bis heute als Meilenstein der Designgeschichte gefeiert, da er die europäische Stromlinienform als eigenständiges Konzept zu einem Höhepunkt führte und nicht wie die meisten Wettbewerber lediglich den Chrysler Airstream und dessen gleichnamiges Schwestermodell von DeSoto kopierte. Wobei übrigens beide Amerikaner das kommerzielle Schicksal des Volvo teilten. Nichts daran ändern konnte auch, dass sich DeSoto und Chrysler von 1935 an stilistisch allmählich weniger wagemutig zeigten. Ein Schicksal, das der 1935 neu lancierte Lincoln-Zephyr mit mächtigem 4,4-Liter-V12-Zylinder-Motor denn auch teilen sollte. Und auch der auf dem Pariser Salon 1935 enthüllte V12L Aerosport Stromliniencoach des exzentrischen französischen Aeronautikers Voisin mit 6,1-Liter-12-Zylinder Triebwerk fand zu wenige Liebhaber.

Dabei hatten sich die meisten Stromlinienmodellle doch gerade an die besonders wohlhabenden gesellschaftlichen Gruppen gerichtet, allerdings waren die reichen und Schönen eben durchaus nicht immer avantgardistisch. Das konnten 1935 auch Maybach (Typ SW 35), Talbot-Darracq (Typ T 150 GS) und Škoda (Typ 935 Dynamic) bestätigen. Wobei allerdings Škoda seine ebenso stattliche wie schnelle Limousine immerhin als wegweisenden technischen Meilenstein positionieren konnte, die durch den Einsatz von Aluminium und einen mittig platzierten Vierzylinder-Boxer-Motor für Furore sorgte. Der zweite tschechische Hersteller Tatra platzierte seine Stromlinienlimousinen der Typen 77/77a sogar in Spielfilmen und als Staatskarossen – beste Basis für die sich anschließende Erfolgsgeschichte. Den ersten Schritt auf dem langen Weg zum größten Automobilhersteller der Welt setzte Toyota ebenfalls mit einer vom Wind geglätteten Form: Erstes Serienfahrzeug wurde der 1935 vorgestellte und als Limousine und offener Tourer erhältliche Typ AA.

Für die größte Überraschung des Jahres 1935 sorgte dagegen eine stilistisch bis dahin überaus konservative Marke: Peugeot hatte den Designer Henri Thomas engagiert, der inspiriert vom Chrysler Airflow die Mittelklassemodelle 402 in der „ligne fuseau Sochaux“ präsentierte. Diese sogenannte Spindelform aus Sochaux machte den Peugeot 402 mit rund 59.000 Einheiten zum erfolgreichsten europäischen Stromlinienmodell der 1930er Jahre. Ein Vierzylinder, der als Limousine und Coupé noch bezahlbar war, als Coupé-Cabriolet Eclipse extravaganten Luxus verkörperte und als Diesel eine antriebstechnische Vorreiterrolle übernahm.

Welche Spuren hat die Stromlinienära hinterlassen? Experimentelle und extravagante Automobile – und die bis heute überlebende Fließheckform. Da die nach dem Prinzip von Paul Jaray aerodynamisch optimierten Fahrzeuge im Heckbereich zu lang waren, schrumpften die Designer die Linien Ende der 1930er-Jahre auf ein sogenanntes „fast back“, schnelles Heck. Dieses Fließheck sah zwar noch aerodynamisch aus, zeichnete sich aber durch einen eher hohen Luftwiderstand aus. Während sich die Fastback-Mode in den USA schon Ende der 1940er-Jahre überlebte, blieb sie in Europa durch Volksautos wie den VW-Käfer und die Buckel-Volvo PV 444/544 aktuell bis Ende der 1960er-Jahre praktische Fließheck-Fünftürer en vogue wurden. Autos, die nun konsequent im Windkanal entwickelt wurden – einer Technik, deren Ursprünge übrigens ebenfalls den ersten Stromlinienmodellen zu verdanken ist: Chrysler rühmt sich in seinem werkseigenen Windkanal ab 1930 die Formen des Airflow gefunden zu haben.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Hersteller/SP-X

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