Charlys PS-Geflüster

Liebe Leserin!
Lieber Leser!

\x09Wer es in den aktuellen Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Fernseh-Anstalten geschafft hat, bei den abendlichen Top-Ausstrahlungen um 19 oder um 20.15 Uhr an vorderster Front genannt zu werden, der ist in der Regel eine bedeutende Person des Zeitgeschehens: Politiker, gekrönte Häupter, gut verdienende Kicker, ab und zu ein paar Wirtschaftsbosse, die entweder durch einen Crash oder einen bedeutsamen Konzern-Coup auf sich aufmerksam gemacht haben. In den vergangenen Tagen tauchten da regelmäßig die Namen (und Gesichter) der beiden Granden des Volkswagen-Konzerns auf: Ferdinand Piëch, der Aufsichtsrats-Vorsitzende und Martin Winterkorn, der Vorstands-Vorsitzende des Volkswagenkonzerns. Der Machtkampf und die persönlichen Eifersüchteleien in Europas größtem Autokonzern nahmen sich etliche Zeit an Sendeplatz.

Dass aber die Bedeutung der Nachrichten, die aus der Automobil-Industrie kommen, je nach Sicht, Betrachtungswiese und Lebensumständen der betreffenden Personen völlig unterschiedlicher Natur sein können, habe ich dieser Tage nicht zum ersten Male erfahren. Vor etwas mehr als einem Jahr hat ein Mann aus unserer Nachbarschaft unverschuldet seinen Arbeitsplatz verloren. Er geht „stramm auf die 60 zu“, gilt als nur noch schwer oder gar kaum vermittelbar. Seine Frau arbeitet halbtags in der Cafeteria unseres kleinen Krankenhauses, das jetzt offenbar vor der Schließung steht. Ist nicht mehr rentabel, die „Gesundheitsfabrik.“ Denn das Haus muss in erster Linie Gewinn abwerfen und nicht etwa Menschen heilen.

Für das Paar, dessen Tochter in der Ausbildung zur Einzelhandels-Kauffrau steht, täglich in die 40 Kilometer entfernte Kreisstadt und zur Berufsschule muss, sind finanzielle Zugeständnisse unausweichlich. Aber wer denkt schon so weit. Ich jedenfalls nicht. Bis ich die besagte junge Dame dieser Tage an einer Bushaltestelle unserer kleinen Stadt sah, und ich sie eigentlich mehr oder weniger beiläufig fragte: „Na, hast Du Probleme mit Deinem Auto?“ Sie fuhr einen schon arg in die Jahre gekommenen Fiat Punto, der eigentlich noch eine Weile halten sollte und auch musste.

Die Antwort hat mich dann einigermaßen hilflos gemacht und mir die Augen geöffnet, mit welchen Problemen aus dem täglichen Automobilgeschäft Menschen sich herum schlagen müssen, denen die marode Wirtschaft einfach ohne zu fragen eine Breitseite verpasst hat. „Nein, das Auto haben wir verkaufen müssen. Es reicht nicht mehr. Ich fahre jetzt mit dem Bus“, klärte mich Daniela, so heißt die junge Dame, auf. Und sie wirkte ziemlich traurig dabei. Denn auf ihren kleinen Flitzer war sie mächtig stolz gewesen sein.

Bestimmt könnte Daniela mit den Namen Piëch und Winterkorn nichts anfangen. Sie sind auch völlig ohne Belang für die derzeitigen Umstände ihres jungen Lebens, das sie ja noch vor sich hat. Aber eines wurde mir ganz schnell klar: Es muss nicht unbedingt um Milliarden, um Porsche-Enkel und globale Absatzzahlen gehen, wenn Nachrichten aus der Automobilszene den Alltag von Menschen erschüttern. Manchmal reicht es auch, wenn man sich die Steuer oder einen vollen Tank nicht mehr leisten kann.

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.
Ihr Jürgen C. Braun

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