Bange Fragen und eine konkrete Antwort am vergangenen Wochenende auf dem Nürburgring. Nur zwei Wochen nach dem Rennunfall vom 28. März, bei dem ein Zuschauer sein Leben durch ein über einen hohen Sicherheitszaun hinweg fliegendes Auto verlor, fand wieder das erste motorsportliche Ereignis mit Rennfahrzeugen jenseits der Leistungsgrenze von 500 PS und mehr statt. Das sechsstündige Qualifikationsrennen zum 24h-Rennen vom 14. – 17. Mai an gleicher Stelle war deswegen auch mehr ein Stimmungsbarometer für alle Beteiligten als ein Lauf von etwa 70 Fahrzeugen auf der Nordschleife, bei dem es wirklich um sportliche Meriten gegangen wäre.
Die Frage lautetet demzufolge: Wie würden Fahrer, Teams, vor allem aber die vielen Besucher und Freunde der Kult-Rennstrecke die neuen Beschlüsse des DMSB-Präsidiums (DMSB = Deutscher Motorsportbund) aufnehmen? Immerhin war es das erste Rennen in der fast 88-jährigen Geschichte der Eifel-Rennstrecke, das mit einem Tempo-Limit ausgetragen wurde. Denn der neue Maßnahmen-Katalog, der nur wenige Tage nach dem folgenschweren Crash im Bereich „Flugplatz“ passierte, hatte für die weitere Zukunft des Langstrecken-Rennsports drastische Folgen. Zumindest fürs Erste: Neben einer Limitierung des Tempos in den schnellstmöglichen Passagen auf 250 km/h, einer technischen Leistungseinbuße von fünf Prozent und einer Sperrung besonders sensibler Zuschauerzonen gibt es weitere Parameter, die völlig neu für Langstreckenrennen auf dem Nürburgring sind. Crews dürfen in der Boxengasse nur noch mit feuerfestem Overall und Helm arbeiten. In der Gasse selbst herrscht eine Geschwindigkeits-Beschränkung von Tempo 30.
Es war klar, dass vor allem die Piloten alles andere als begeistert über Begriffe wie Speedlimit und Leistungsminderung waren, auch wenn alle bekräftigen: „Es ist gut, dass Bereiche, in denen man Gefahrenpunkte für Zuschauer zu erkennen glaubte, gesperrt werden. Schließlich wollen wir alle spannenden, aber auch möglichst sicheren Motorsport sehen.“ Allerdings, so formulierte es Jürgen Alzen, der fünfmal das 24h-Rennen als Gesamtzweiter beendete: „Wir müssen uns von der Illusion frei machen, es gebe hundertprozentig sicheren Motorsport. Fahrer und Fahrzeuge bewegen sich dabei permanent am physikalischen Limit.“
Fest steht indes, dass der „Ring“ 12 Jahre vor seinem 100. Geburtstag vor der Existenzfrage steht. Denn in den vergangenen Jahren kamen die schlechten Nachrichten wie einst die Kugeln aus der Hüfte von Jesse James: Vor drei Jahren die Insolvenz, vor einem viertel Jahr die Übernahme durch den russischen Oligarchen Viktor Charitonin: Danach ging es munter weiter: keine Formel 1, kein Rockfestival und dann noch ein tödlicher Unfall bei einem Langstreckenrennen. Vor allem Letzteres geht an die Substanz des Rings. Ans Kerngeschäft, das die Zuschauer anlockt und die Kassen füllt.
Der ehemalige FIA-GT1-Vize-Weltmeister Thomas Mutsch aus Bitburg, dessen Arbeitstag am Sonntag im neuen Glickenhaus SCG 003c nach einem Problem mit der Elektronik früh beendet war, berichtete im Gespräch mit der KÜS von einer „durchwachsenen Stimmung“ unter den Fahrer-Kollegen und den Fans. „Es kommt darauf an, mit wem man spricht und wieviel Herzblut am Motorsport am Nürburgring mit drin hängt. Die Situation gefalle keinem, aber „wir müssen jetzt eben das Beste daraus machen.“ Als neuen Gefahrenpunkt sieht er das bewusste Achten auf den limitierten Speed. „Wenn man knapp unter Tempo 250 mit einem Auge auf dem Display und mit dem anderen auf der Strecke ist, dann ist das gefährlicher als wenn man sich nur auf den Kurs konzentrieren kann.“„Miss Nürburgring“ Sabine Schmitz, eine Frau mit unendlicher Nordschleifen-Praxis und Streckenkenntnis, brachte das auf den Punkt, was viele Kollegen dachten, es so präzise aber nicht formulierten: „“Trotz aller Diskussionen: Wenn die Fahrertür zuschlägt, habe ich endlich Ruhe und Spaß auf der Nordschleife.“
Doch Rundstrecken-Rennen auf der Nordschleife bestehen nicht nur aus Boliden mit über 500 PS. Die Serie lebt von den vielen Amateuren und privaten Teams, von dem Engagement vieler Hersteller, Zulieferer, Autohäuser und Privatiers. Für alle diese Piloten brachte es Nordschleifen-Experte Alexander Köppen auf den Punkt. Der Eifeler, der für Hyundai, das sein Motorsport-Engagement entgegen dem Trend ausbaut, einen Veloster Turbo pilotiert, sieht in den Tempobeschränkungen für die Fahrer der weniger leistungsstarken Autos eine zusätzliche Belastung. „Da muss man sich etwas Neues einfallen lassen.“ Aber immerhin hatte er gestern auch Grund zum Strahlen: „Unser Auto läuft richtig gut.“
Der wichtigste Parameter an der Nordschleife aber sind seit jeher die Fans. Denn nirgendwo lebt eine Rennstrecke so sehr von und mit ihren Freunden und „Liebhabern“, wie dies in der rauen Eifel der Fall ist. Am Sonntag hatten wir den Eindruck, dass viele Stammgäste der Nordschleife die neue Situation weitaus weniger drastisch ansehen, als man das nach dem ersten kollektiven Entsetzen nach dem folgenschweren Unfall hätte annehmen können. So waren bei angenehmen äußeren Bedingungen die Naturränge gut besetzt. Viele waren mit Krädern oder Fahrrädern gekommen, Parkplätze an Brünnchen und Schwalbenschwanz waren stark frequentiert. Und dies, obwohl der sportliche Wert eher gering war.
Der allgemeine Tenor dieser Motorsportfreunde: „Es ist gut, dass man jetzt gewisse Zuschauerbereiche aussperrt.“ Das bedeute aber nicht, dass diese Plätze vorher besonders gefährlich gewesen wären. „Die Art und Weise, wie dieser Unfall zustande kam, war die Summe viele fataler Umstände, die zusammen kamen. Wir bleiben der Nordschleife jedenfalls in Zukunft nicht fern.“
Das erste Wochenende in der Eifel nach der Renn-Katastrophe vor zwei Wochen brachte die Erkenntnis, dass sich alle Beteiligten erst an die neuen Umstände gewöhnen müssen, aber dass der Motorsport dort, wo er am puristischsten ist und sein Herz am lautesten schlägt, noch lange nicht am Ende ist. Bleibt nur zu hoffen, dass das auch all jene, die am Ring etwas zu sagen haben, konstatieren und sie sich danach richten.
Text und Fotos: Jürgen C. Braun