Liebe Leserin,
lieber Leser,
In der gerade abgelaufenen Woche fand wie alljährlich zu dieser Jahreszeit ein Treffen von Experten zum Thema Verkehr und Recht statt, das sich nicht scheut, brisante Themen anzupacken und auch mitunter ungewöhnliche Lösungen vorzuschlagen. Der Deutsche Verkehrsgerichtstag – Austragungsort ist immer die kleine Kreisstadt Goslar im Harz – wartet seit Jahren mit kontrovers diskutierten Ergebnissen auf, die mehr als einmal Eingang in die Gesetzestexte gefunden haben. Die namhaften Experten gehen in der Regel mit profunder Sachkenntnis „en detail“ und scheuen sich vor klaren Worten nicht.
Die Themen sind vielfältig, in der vergangenen Woche wurde unter anderem über die Anhebung der Promillegrenze für Radfahrer, über die Ausweitung des Handy-Verbotes beim Autofahren, aber auch über eine Verschärfung des Tempolimits auf deutschen Landstraßen debattiert. Gerade letzteres ist ein ganz heißes Eisen, denn wenn man dem deutschen Autofahrer die Lust am schnellen fahren mies machen will, dann versteht dieser in der Regel keinen Spaß. „Tempo 80 statt Tempo 100“ auf der Landstraße. Das stand unter anderem aufgrund der Unfallzahlen zur Diskussion.
Ich kann mich noch gut an den Aufschrei erinnern, der zu Beginn der 1970er Jahre bei der Einführung von Tempo 100 auf allen deutschen Landstraßen durch die Bevölkerung ging. Von Unverschämtheit über unzulässige Bevormundung bis hin zur „Freiheitsberaubung am Gaspedal“ (so titelte damals ein großes Boulevard-Blatt) war die Rede. Konnte man doch vorher nach Herzenslust ohne Beschränkungen „auf Teufel komm raus“ auf unseren Landstraßen außerhalb geschlossener Ortschaften fahren. Nun, inzwischen haben wir uns längst an diese Marke gewöhnt. Und junge Leute, die gerade „den Führerschein machen“ oder die Lizenz vor einigen Jahren erworben haben, kennen es ohnehin nicht (mehr) anders.Ich will an dieser Stelle einer Verschärfung des Tempolimits weder das Wort reden noch „Tempo 80“ verteufeln. Ich möchte einfach aufzeigen, wie rasch sich mitunter die Sicht der Dinge auf bestimmte Problematiken ändern kann. 2013, so eine Meldung vor Beginn des Verkehrsgerichtstages, seien 1.934 Menschen bei oder in der Folge von Unfällen auf Landstraßen gestorben. Nach jüngsten Hochrechnungen, so Experten, könnten es im Jahr 2014 sogar noch etwas mehr gewesen sein.
Und auch diese Zahl ist wiederum nur relativ, sieht man sie in der Gesamtentwicklung. Denn Institutionen wie etwa der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) verweisen mit Recht immer wieder darauf, dass durch die verschiedensten Maßnahmen der Anteil der Getöteten im Straßenverkehr in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten erheblich gesunken sei.
Es trifft also Beides zu in diesem aktuellen Fall: Das Bemühen um eine ständige Verbesserung der Verkehrssicherheit trägt Früchte. Aber das ist noch lange kein Grund, inne zu halten mit der Weiterentwicklung wirksamer aktiver und passiver Sicherheitssysteme für alle Verkehrsteilnehmer. Gleich, ob sie mit dem Auto, dem Motorrad, dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs sind. Und deswegen ist es gut, dass eine ansehnliche Statistik aus den vergangenen Jahren den aktuellen „Status Quo“ nicht unter den Tisch kehrt. Denn jeder Verkehrstote ist einer zu viel. Und deswegen muss auch darüber debattiert werden, was man dagegen machen kann. Und darüber, ab wann und ab wo der Schutz der Allgemeinheit Priorität vor dem freien Entscheidungswillen des Individuums hat.
Übrigens, ganz ehrlich: Auch ich war damals, im jugendlich Sturm und Drang, gegen „Tempo 100“. Musste ich wohl, denn wir jungen Burschen konnten uns natürlich nicht als „Opas“ im Auto outen. Dachten wir zumindest damals. Aber die Dinge, und die Sicht darauf, ändern sich Gott sei Dank im Laufe eines langen Autofahrerlebens.
Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.
Ihr Jürgen C. Braun