„Diesel-Genuss ohne Reue“, „Kraft und Kultur“ oder „Entgegen aller Lehrbuch-Weisheit“, so lauteten die Schlagzeilen, mit denen die gerade ölkrisengeschüttelte Autowelt vor 40 Jahren den Mercedes-Benz 240 D 3.0 begrüßte. Arbeitete unter seiner Motorhaube doch ein Selbstzünder, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte. Als erster Serien-Pkw punktete die „Strich-Acht“-Limousine mit einem Fünfzylinder-Motor, der kurzzeitig zu einem technischen „Take five“-Hype führte. Passend zu Dave Brubecks und Paul Desmonds gleichnamiger Jazz-Hymne, die durch Werbefilme für die sportiven BMW 02 ein Revival erlebt hatte.
Ganz so agil wie die kompakten BMW waren zwar weder der neue Daimler-Benz-Diesel noch der 1976 von Audi präsentierte erste Großserien-Benziner mit fünf Zylindern, aber an Leistungsstärke und Durchsetzungsfähigkeit am Markt ließen es beide nicht mangeln. Dafür genügten dem Mercedes gerade einmal 59 kW/80 PS, denn diese nach heutigen Maßstäben bescheidene Leistung machte ihn damals bereits zur spurtstärksten und schnellsten Diesel-Limousine aller Zeiten. Erstmals musste jetzt eine Mittelklasse mit Selbstzünder die Überholspur der Autobahn nicht mehr für jeden etwas flotteren Kleinwagen räumen. Der Fünfzylinder machte aus dem Benz einen Businessliner, der so das Image des laut nagelnden und müden Taxi- und Bauern-Diesels nach und nach ablegen konnte.
Dazu trug auch der prestigeträchtige Hubraum von 3.005 Kubikzentimetern bei, denn anders als heute waren im Jahr 1974 Hubraumgröße und Zylinderzahl noch entscheidende Messlatten fürs Image. Gleichzeitig galt es jedoch deutsche Understatement-Befindlichkeiten zu berücksichtigen, wie Journalisten beim Pressedebüt des neuen Diesel-Flaggschiffs erläutert wurde. So differenzierte sich die Typenbezeichnung des 3,0-Liter-Fünfzylinders vom 2,4-Liter-Vierzylinder im 240 D nur durch den Zusatz „3.0“. Ähnlich also wie wenig später in der S-Klasse, wo das Flaggschiff als 450 SEL 6.9 reüssieren musste. Die kostenfreie Abwahl der Typenbezeichnung 240 D 3.0 auf dem Kofferraumdeckel stand zwar bereits in der Optionenliste, wurde aber erst mit der Ende 1975 lancierten Baureihe W 123, die jetzt auch als 300 D firmierte, endgültig populärste Wunschausstattung.
In den USA dagegen sollte die Vermarktung des größten Diesels von Beginn an als Mercedes-Benz 300 D erfolgen. Tatsächlich brach der Fünfzylinder dem Selbstzünder im Land der Hubraumgiganten eine erste Bahn. Schon Ende 1975 war jeder dritte in Nordamerika verkaufte Mercedes ein Diesel. Ein Sensationserfolg für diesen Antrieb, der bis dahin als stinkend, lärmend und langsam und damit gesellschaftlich inakzeptabel galt. Nun aber kaufte sogar die amerikanische Prominenz einen 300 D, so etwa der Raketenexperte Wernher von Braun. Rasch konnte das „D“ den Ruf erringen, für vernunftbetonte und umweltbewusste Motorentechnik zu stehen. Rußemissionen besaßen vorläufig keine entscheidende Relevanz, stattdessen erfüllten die Mercedes-Diesel mit als erste alle frisch aufgelegten, deutlich verschärften Abgasgesetzgebungen in Amerika und Europa. Nicht zu vergessen natürlich das durch die Ölkrise von 1973/74 bei allen Autokäufern gewonnene Bewusstsein für Kraftstoffknauserer.
Tatsächlich war es auch die bereits vergleichsweise breite Palette aus den Vierzylinder-Diesel-Typen 200 D, 220 D und 240 D, mit denen die damalige Daimler-Benz AG von den Absatzproblemen verschont blieb, die im Krisenjahr 1974 für manchen Konzern bedrohlich waren. Zwar arbeiteten etwa British Leyland, Fiat, Ford, General Motors und sogar der Volkswagen-Konzern bereits seit längerer Zeit an neuen Dieselmotoren, der große Coup gelang jedoch zuerst Mercedes. Galt es bis vor 40 Jahren als feststehend, dass nur gerade Zylinderzahlen einen schwingungsarmen Motorlauf ermöglichten – daran änderten auch die DKW-, Saab- und Wartburg-Dreizylinder nichts -, demonstrierte der Daimler-Fünfzylinder mit speziellen Lagern und Gegengewichten einen verblüffend ruhigen Lauf. „Rundläufer“ nannte die Fachpresse den Neuen deshalb.
Von mittleren Drehzahlen aufwärts an gäbe es fast keinen Unterschied zu Ottomotoren, lobten die Testberichte den zugleich global hubraumgrößten Diesel der Welt, mit dem die bereits über sechs Jahre alte „Strich-Acht“-Baureihe ein letztes Mal Furore machte. Auf einen Sechszylinder-Selbstzünder hatten die Stuttgarter Entwickler nach ausgiebiger Erprobung schon im Vorfeld verzichtet, weil er zu groß, schwer und kostspielig geworden wäre. So entstand das 3,0-Liter-Aggregat als Weiterentwicklung der bewährten 2,4-Liter-Maschine.
Auf welches Wettbewerbsfeld traf der neue Mercedes 240 D 3.0? Gerade einmal elf Modellreihen teilten sich 1974 den Diesel-Weltmarkt, darunter vier Mercedes-Modelle. Ansonsten gab es drei Peugeot (204, 404 und 504), einen Opel (Rekord 2100 D) und auf einzelnen Märkten Austin (Taxi), Datsun/Nissan (200 C) sowie Wolga (GAZ 24). Als der Mercedes-Fünfzylinder-Diesel 1976 im Gewand der neuen Baureihe W 123 antrat, umfasste die Diesel-Bewegung bereits doppelt so viele Modellreihen unterschiedlicher Marken. Der 240 D 3.0 stand am Anfang eines Trends, den sein Fünfzylinder in immer neue Ausbaustufen beschleunigte. Im Juni 1976 war es der Experimentalwagen C 111-II D, der mit dem durch Turboaufladung und Ladeluftkühler auf 140 kW/190 PS erstarkten Fünfender im italienischen Nardo auf Rekordjagd ging. Mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von über 250 km/h errangen vier Fahrer auf diesem C 111 insgesamt 16 Weltrekorde, die auch in der amerikanischen Presse Nachrichtenwert besaßen. So startete der Fünfzylinder dort 1977 als erstes Diesel-Coupé 300 CD und ab 1978 auch im Kleid der S-Klasse als 300 SD (Baureihe 116). Respektable 82 kW/111 PS entwickelte der turboaufgeladene Fünfzylinder in diesem Luxusliner. Nur Peugeot setzte zeitgleich einen Turbo-Kontrapunkt im repräsentativen Flaggschiff 604 Diesel, das es sogar in staatstragenden Langversionen gab. Dies jedoch nur mit Vierzylindern und ausschließlich in Europa. Den entscheidenden Schritt zum schnellen und allgemein respektierten Diesel hatte Mercedes vollzogen.
Wie temperamentvoll der 240 D 3.0 wirklich war, lässt sich nur bei genauerer Betrachtung erkennen. Knapp 18 Sekunden genügten ihm in Tests für den Sprint auf Tempo 100 und die Vmax lag bei rund 150 km/h. Dagegen betrugen die Werksangaben etwa für den Mercedes 200 D (40 kW/55 PS) betuliche 31 Sekunden und 130 km/h. Aber auch als 70 kW/95 PS leistender Benziner war der Mercedes 200 mit einer Spitze von 160 km/h nur unwesentlich schneller als der Fünfzylinder-Selbstzünder. 10,8 Liter Normverbrauch beim Mercedes 240 D 3.0 würden heute nicht mehr taugen für positive Schlagzeilen. Auch 1974 war dies keine Sensation, lag doch etwa der Normwert für den Mercedes 200 Benziner auf gleichem Niveau. Im Verkehrsalltag allerdings sparten die Diesel dann doch deutlich gegenüber den Ottomotoren, vor allem im Stadtverkehr. Hinzu kam die legendäre Lebenserwartung der Diesel, von denen es manche zum Kilometer-Millionär brachten. Sogar im Detail verkörperte der erste Fünfzylinder-Diesel Fortschritt: So ließ sich der 240 D 3.0 durch Umdrehen des Zündschlüssels starten, ohne bis dahin erforderlichen separaten Vorglüh-Vorgang.
Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Daimler/SP-X