In der Medienberichterstattung stand sein Debüt auf der New Yorker Motor Sports Show 1954 noch im Schatten des spektakulären „Gullwing-“Coupés 300 SL, dennoch mutierte auch der Mercedes 190 SL auf Anhieb zu einem Publikumsliebling. So feierte der Vierzylinder-Roadster einfach eine zweite Schlagzeilen machende Premierenparty, diesmal kurz vor dem Markstart im glanzvollen Ambiente des Genfer Salons. Der perfekte Rahmen für einen elegant gezeichneten Zweisitzer, der nicht harter Sportwagen, sondern sanfter Sonnencruiser sein wollte. Tatsächlich markierte der 190 SL den Anfang der komfortbetonten SL-Reihe, so wie sie Mercedes bis heute kultiviert, während der 300 SL Urvater aller SLR-Racer wurde.
Gelassenes Gleiten statt angespanntes Racen, dafür war der 77 kW/105 PS leistende 190 SL mit Pendelachs-Fahrwerk und Trommelbremsen von vornherein ausgelegt. Damit einher ging das Gefühl burgähnlicher Stabilität, für das Mercedes damals allgemein gelobt wurde, die zeitgenössischen Motorjournalisten im 190 SL dennoch überraschte. Handelte es sich bei dem SL mit dem Werkscode W 121 B II doch zusammen mit dem Typ 220 a um das erste Stuttgarter Cabrio mit selbsttragender Karosserie. Trotz aller technischen Differenzen zeigte das Design des kleinen SL manche Verwandtschaft mit den Linien des extrascharfen großen Gullwing-Bruders. Schließlich sollten die schnellen Formen Begehren wecken, erfolgreich wie sich erwies. Fast 26.000 Einheiten wurden bis 1963 verkauft, beinahe die Hälfte in Nordamerika.
Damit ging die Rechnung des New Yorker Sportwagen-Importeurs Max Edwin Hoffman auf, der sich damals von Mercedes einen offenen Tourensportwagen gewünscht hatte für alle Kunden, denen der 300 SL zu teuer war und ein Porsche zu maskulin. Tatsächlich fand der 190 SL unter Frauen eine große Fangemeinde. Davon künden Fotos mit den Leinwandstars der frühen Nachkriegsära wie Gina Lollobrigida und Grace Kelly – die spätere Fürstin Gracia Patricia von Monaco chauffierte sogar die Pop-Ikone Frank Sinatra im 190 SL. Aber auch die Skandal-Schriftstellerin Francoise Sagan ließ sich ebenso wie viele andere Schöne und Reiche nur zu gern am weißen Lenkrad ihres Roadsters ablichten. Noch 1960, also schon im sechsten Verkaufsjahr, verfehlte der offene Mercedes mit beachtlichen 3.977 Einheiten das Allzeithoch aus dem ersten vollen Produktionsjahr gerade einmal um 55 Cabrios.
Stichwort Cabriolet. Den 190 SL gab es in vier Karosserieversionen, von denen allerdings nur drei in Serie gingen. Der erste in New York gezeigte Prototyp präsentierte sich noch mit flacher Frontscheibe, Lufthutze und leichten ausgeschnittenen Türen in Rennoptik – allerdings ging diese Motorsportversion nicht in Serie. So wie Mercedes nach dem Sieg im großen Preis von Macao 1956 endgültig auf eine weitere Motorsportkarriere des 190 SL verzichtete, obwohl dieser als Erprobungsfahrzeug auch bei der Targa Florio 1955 von den Champions Stirling Moss und Peter Collins geradezu begeisterte Kritiken erhielt.
In den Handel kam der SL stattdessen in drei anderen Ausführungen: Als Roadster mit Stoffdach, als sogenanntes Coupé mit Stoffdach und abnehmbarem Hardtop und als Hardtop-Coupé ohne Stoffdach – so wie es eigentlich nur Amerikaner liebten. Während der Roadster über Kunstledersitze verfügte, kennzeichnete die Coupés eine serienmäßige Echt-Lederausstattung. Aufgebaut wurde die Karosserie des 190 SL auf dem um 25 Zentimeter verkürzten Chassis der Pontonlimousine 180, das zunächst für ein jedoch nicht verwirklichtes kleines 180 Cabriolet vorgesehen war.
Aus dem größeren Sechzylindermodell 220a stammte die neuartige Eingelenk-Pendelachse, diese erhielten die kleineren 180 und 190 Limousinen erst etwas später. Dagegen ähnelte der 1,9-Liter-Vierzylinder konstruktiv dem Sechszylinder aus dem 300 SL, musste aber auf eine Einspritzanlage verzichten. Tatsächlich wurde das Projekt Einspritzer für den 190 SL noch über Jahre weiterverfolgt, ebenso wie die Erprobung eines 220 SL mit 96 kW/130 PS starker 2,2-Liter-Sechszylindermaschine. Sogar der Benzin-Direkteinspritzer aus dem 300 SL wurde in den 190 SL implantiert und bei einer Alpenfahrt erfolgreich erprobt. Nur auf Schotterstraßen habe der kleine SL Probleme die Kraft der 158 kW/215 PS auf die Piste zu bringen, konstatierten damals die verantwortlichen Mercedes-Ingenieure.
Während die zeitgenössische Fachpresse an den Fahreigenschaften des Serien-SL kaum etwas auszusetzen hatte – so wurden etwa die Überlegenheit der vorderen Einzelradaufhängung und der hinteren Pendelachse gegenüber britischen Sportwagen mit Starrachse bis zuletzt immer wieder betont – gab der unkultivierte Motorlauf Anlass zu heftiger Kritik. Schon bei niedrigen Drehzahlen sei der Sound so aufdringlich, dass er störe oder gar peinlich sei, konstatierten Tester. Was die Popularität des Mercedes aber nicht beeinträchtigte, weshalb die Stuttgarter auf die Einführung des Sechszylinders schließlich verzichteten. Viel wichtiger waren den 190-SL-Fahrern die bereits zur Bauzeit legendäre Zuverlässigkeit des geräumigen „Tourensportwagens“, wie ihn die Werbung nannte. Vor allem aber die zeitlose Eleganz der Linien, gezeichnet von den Mercedes-Mitarbeitern Walter Häcker und Hermann Ahrens. Formen, die sogar in einer Dekade fast jährlich wechselnder automobiler Moden nicht alterten und bewirkten, dass die Baureihe W 121 noch über ihre Produktionszeit hinaus überaus beliebtes Requisit für Filmproduktionen und Modejournale blieb. Und beste Basis waren für eine anschließende Karriere als kultiger Klassiker mit dem Chrom-Charme der Golden Fifties, während der 1963 lancierte Nachfolger 230 SL von der neuen Funktionalität der Sechziger kündete.
Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Mercedes Benz/SP-X