Die Gischt spritzt meterhoch, der Fahrtwind zerrt an den Haaren und bei jeder Welle hebt es einen fast aus dem Sitz – Fred Selby ist in seinem Element. Mit über 50 Sachen jagt der freundliche Sechziger durch den Hafen von Long Beach und lässt den lieben Gott einen guten Mann sein. Hey, wir sind an der Küste von Kalifornien, da gehörst du einfach aufs Wasser, ruft er in den Wind, reißt das Steuer herum und surft im schönsten Drift um die nächste Boje.
Aber dann klingelt sein Telefon und der Spaß ist vorbei. Die Arbeit ruft und Selby muss zurück an den Schreibtisch. Jeder andere Skipper würde jetzt das Tempo rausnehmen, drüben zum Steg tuckern, sein Boot vertäuen und von dort aus zum Parkplatz laufen. Doch Selby hält einfach auf den nächsten Strandabschnitt zu, nimmt ein wenig das Gas zurück und lächelt weiter sein zufriedenes Lächeln. Während man auf dem Beifahrersitz an das Schlimmste denkt und schon mal nach der Rettungsweste sucht, wird Selbys Grinsen immer breiter, man hört ein gefährliches Knirschen, wartet auf den Crash und wundert sich umso mehr, als die Fahrt auch an Land unvermindert weiter geht. Wo andere erst einen Liegeplatz suchen und ins Auto wechseln müssen, fährt er mit seinem Powercruiser einfach weiter bis ins Büro. Denn Selby steuert kein Boot wie jedes anderes. Selby sitzt im Watercar und nennt die Eigenkonstruktion das schnellste Amphibien-Auto der Welt. „Mit dem gleichen Vehikel 130 km/h an Land und 70 Sachen auf dem Wasser zu fahren, das schafft sonst keiner“, prahlt der braungebrannte Mittsechziger.
Möglich werden diese Rekordwerte durch ein ausgeklügeltes Karosserie-Konzept: Anders als das in Deutschland entwickelte Amphicar, das vor bald 15 Jahren den Anstoß zu diesem Projekt gab, ist das Watercar eben nicht nur ein Schwimmwagen mit abgedichteter Karosserie und einer Schiffsschraube am Heck. Viel eher ist der Eigenbau ein Boot auf Rädern. Unter der ziemlich kantigen GfK-Karosse, die entfernt an den Jeep Wrangler erinnert, hat das Watercar tatsächlich einen schlanken Rumpf und einen spitzen Bug, der sich bei Vollgas elegant aus dem Wasser hebt. Und damit die Räder beim Wellenritt nicht im Weg sind, lässt Selby sie auf Knopfdruck hydraulisch abknicken und einfahren wie eine Schildkröte, die ihre Beine unter den Panzer zieht.
Zwar mussten Selby und sein Kompagnon Dave March, der die ursprüngliche Idee hatte und vor allem das Geld für die Entwicklung beisteuerte, an dieser Konstruktion lange feilen: „Wir haben sicher hundert verschiedene Entwürfe ausprobiert und dabei fast genauso oft Schiffbruch erlitten“, erinnert sich Selby, der so manches mal buchstäblich nasse Füße bekommen hat. „Doch wir sind kein einziges Mal abgesoffen.“ Und vor allem haben die Tüftler so eine Form gefunden, die tatsächlich funktioniert: Während das 4,60 Meter lange Watercar an Land ein bisschen sperrig wirkt und der Fahrkomfort auf den schartigen Straßen im Hafen von Long Beach ein wenig zu wünschen übrig lässt, liegt der Viersitzer im Wasser völlig ruhig, ist spurstabil und so wendig, dass man am liebsten dauernd Slalom fahren möchte.
Aber der Rumpf war nicht die einzige Nuss, die March und Selby zu knacken hatten. Auch die Korrosion im Salzwasser und natürlich die Abdichtung des Innenraums waren nicht ohne. Und selbst beim Antrieb haben sie viel experimentiert. So ist zum Beispiel der Corvette-Motor, mit dem sie vor drei Jahren den Weltrekord aufgestellt haben, mittlerweile wieder ausgemustert worden. Zu schwer, zu teuer, zu empfindlich, sagt Selby. An seiner Stelle steckt nun unter dem kleinen Sonnendeck im Heck ein 3,7 Liter großer V6-Benziner aus dem Honda Odyssee, der auch schon 250 PS leistet. An Land treibt er wie bei einem Sportwagen die Hinterachse an. Doch sobald Selby an den Strand rollt und einen Schalter umlegt, lenkt ein Verteilergetriebe die Kraft erst teilweise und dann ganz an eine Jetdüse um. Unter dem Heck öffnet sich dann eine Klappe und ein gewaltiger Wasserstrahl treibt das Watercar durch die Wellen.
Zwar interessiert sich mittlerweile sogar das Militär für das Watercar. Und auch die Katastrophenschützer stehen ständig in Fountain Valley auf der Matte, erzählt Selby. Doch eigentlich hat er auf solch komplizierte Kunden gar keine Lust. Denn für ihn ist das Watercar vor allem ein Spielzeug, bei dem er an die Reichen und Schönen denkt und an die Wohnmobilurlauber, die nicht gleichzeitig ein Auto und ein Boot an den Haken nehmen können.
Davon gibt es offenbar genug: Obwohl das Watercar 135.000 Dollar kostet, sind die Amerikaner für das erste Jahr schon komplett ausverkauft. „Wir haben eine hohe zweistellige Zahl von Bestellungen in den Büchern“, freut sich Selby und hält das Dutzend Mechaniker in der Werkstatt auf Trapp. Schließlich sollen sie die Montage eines Autos bald mal in sieben Wochen schaffen, während sie heute noch sechs Monate brauchen.
Es gibt weder Händler noch Werkstätten, und wer ein Problem mit der Technik hat, der muss sich selbst zu Helfen wissen. Doch die Bestellungen kommen aus aller Welt, erzählt Selby. Nur etwa die Hälfte der Autos bleiben die Amerika. Der Rest geht überall dorthin, wo das Geld zu Hause ist: „Hongkong, Russland, China, die Emirate“, zählt der Tüftler die gleichen Länder auf, in denen sich auch Sportwagen- und Yachthersteller eine goldene Nase verdienen.
Natürlich weiß Selby, dass sein Watercar mit denen nicht ernsthaft konkurrieren kann: „Es gibt schnellere Autos und schönere Boote“, räumt der Erfinder ein. Aber es gäbe kein Auto, das auch auf dem Wasser so viel Spaß macht, und kein Boot, mit dem man so schnell an Land fahren könne. „In dieser Kombination sind wir tatsächlich unschlagbar.“
Text und Fotos: Spot Press Services/Benjamin Bessinger