Eilig hat es Gert Straub nicht. Zwar hat er hinten in dem großen blauen Kasten die schnellsten Autos ihrer Zeit. Doch er selbst lässt es lieber gelassen angehen. Schließlich ist er kein Rennfahrer, sondern Mechaniker aus dem Mercedes Classic-Center in Fellbach. Und sein Auto ist keiner der legendären Silberpfeile, sondern einer jener Renntransporter, mit denen die Formel-1-Fahrzeuge in den Fünfzigern kreuz und quer durch Europa zu ihren Einsätzen gekarrt wurden.
Doch Straub lässt es nicht nur langsam angehen, weil ihm bei 4,6 Litern Hubraum aber nur 90 PS gar nichts anderes übrig bleibt, die hakelige Fünf-Gang-Schaltung viel Feingefühl und das riesig große, aber spindeldürre Lenkrad den ganzen Mann fordert, wenn man den blauen Riesen auf Kurs halten möchte. Die Herleitung des Begriffes „Kraftfahrer“ erschließt sich so ganz von selbst. Er bewegt ihn auch deshalb so behutsam, weil der fast 60 Jahre alte Laster zu den buchstäblich größten Schätzen im Fuhrpark des Classic-Centers zählt. Denn während die Rennwagen über die Jahrzehnte akribische Pflege genossen, wurden die passenden Transporter nach ihrer aktiven Dienstzeit für andere Aufgaben genutzt, verkauft oder schlicht verschrottet. „Deshalb haben wir irgendwann festgestellt, dass an dieser Stelle eine große Lücke im Fahrzeugbestand klafft und beschlossen, das so schnell wie möglich zu ändern“, erinnert sich Straub.
Schnell – das ist jedoch ein Begriff, der partout nicht zum Fahrzeug mit der internen Nummer „MuLi 1187“ passen will, musste der Mechaniker lernen. Denn bereits die Restaurierung hat sich über mehrere Jahre hingezogen. Das begann schon mit der Suche nach dem Basisfahrzeug: Obwohl der L 3500, übrigens der ersten Nachkriegskonstruktion von Mercedes, in den Fünfzigern so weit verbreitet war wie heute der Sprinter oder der Viano, und es nach den aktuellen Recherchern der Archivare mindestens ein Dutzend Renntransporter gegeben hat, hatten die Schwaben kaum etwas Passendes im Bestand. „Irgendwo haben wir dann aber doch noch einen ehemaligen Möbellaster gefunden, den wir anhand von Fotos und Skizzen aus dem Archiv zum Renntransporter umgewidmet haben“, erzählt Straub. Das sei historisch durchaus korrekt, rechtfertigt sich der Mechaniker, weil auch die originalen Renntransporter nachträglich umgebaut worden seien.
Während Straub und seine Kollegen Kundenprojekte in Fellbach meist in wenigen Wochen abarbeiten, hat die Arbeit an dem riesigen Langhauber etwas mehr Zeit in Anspruch genommen. „Erst kamen uns immer wieder neue und wichtigere Aufträge von innen und außen dazwischen, und dann haben wir auch noch immer neue Mängel entdeckt.“ Was anfangs nach einer schnellen und billigen Instandsetzung mit kosmetischem Tiefgang ausgesehen hat, wurde so zu einer ebenso teuren und langwierigen Restaurierung, die am Ende mehr als zwei Jahre dauerte.
Umso glücklicher klettert Straub jetzt ins Führerhaus und lässt sich auf das knallrote Sofa fallen: Zündung an, vorglühen, starten – dann rumpelt es kurz im Gebälk und unter der stattlichen Haube läuft ohne Murren ein 4,6 Liter großer Sechszylinder an, der die Fuhre mit seinen bescheidenen 90 PS gaaanz gaaanz langsam in Fahrt bringt. Mögen die Silberpfeile auf der Strecke noch so schnell gewesen sein; auf der Straße fuhren die Rennwagen kaum mehr als besseres Schritttempo.
Zwar hat Straub den blauen Riesen mit viel Liebe zum Detail restauriert und dabei jede noch so kleine Kleinigkeit beachtet. Nicht umsonst sitzt man wie früher auf rotem Kunstleder und zaubert aus dem Handschuhfach sogar noch die originale Bedienungsanleitung für den L 3500. Doch an einem Punkt haben es die Spezialisten aus dem Classic-Center mit der Vergangenheit nicht ganz so genau genommen: Im Laderaum gibt es jetzt statt schlichter Bretter eine professionelle Rampe aus Aluminium-Profilen samt einer elektrischen Winde, mit der die Autos in den großen Kasten gezogen werden können. Auf der lassen sich nicht nur die Silberpfeile aus den Fünfzigern besser sichern, sagt Straub. Die sind mit ihren Knickwinkeln auch so konstruiert, dass der alte Laster jederzeit einen aktuellen Formel-1-Rennwagen schultern könnte.
Wenn es nach Straub ginge, stünde deshalb einer Dienstfahrt nach Hockenheim oder an den Nürburgring nichts im Wege: „Der Transport jedenfalls ist immer vollgetankt und einsatzbereit“, sagt der Mechaniker mit erwartungsfrohem Blick: „Ein Anruf genügt, und ich klettere sofort hinter das Lenkrad.“
Text und Fotos: Spot Press Services/Benjamin Bessinger