Jaguar: 40 Jahre XJ 12

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Sie ist ein Symbol der Vollkommenheit und Vollständigkeit, die Zahl Zwölf steht seit jeher für vollendete Perfektion. So auch seit fast 100 Jahren im Automobilbau. Damals präsentierte die amerikanische Nobelmarke Packard den Twin Six als erstes Fahrzeug mit prestigeträchtiger Zwölfzylinder-Maschine für besonders begüterte und anspruchsvolle Kunden. Amerika gab auch den Ausschlag für die Entwicklung der ersten europäischen Nachkriegslimousine mit V12-Motor, des inzwischen legendären Jaguar XJ12. Drei Gründe bewogen die Briten, die bis dahin für erschwinglichen Luxus standen, zum Einstieg in die Eliteliga: Die USA waren für Jaguar wichtigster Exportmarkt und zugleich größter Luxusmarkt der Welt.

Den letzten Serien-V12 hatte es 1948 in Limousinen des amerikanischen Nobelherstellers Lincoln gegeben, danach zierte die Zwölf nur noch italienische Sportwagen. Höchste Zeit also für einen neuen schnellen Viertürer mit der Kraft der zwölf Herzen – und genau die richtige Mission für den dynamisch designten Jaguar XJ6, dessen bis dahin bescheidene Basis-Zylinderzahl durch das neue Kraftwerk verdoppelt wurde. Vor allem aber verdankt der XJ12 seine Realisierung wiederholt verschärften amerikanischen Umweltgesetzen. Während Jaguar die strengen Abgasvorschriften bis dato trotz damit verbundener Leistungsreduzierung seiner Sechszylinder erfüllt hatte, hätten die neuerlichen Emissionsauflagen die wilden Katzen zu kraftlosen Stubentigern transformiert. Ein hubraumstarker V12 bot dagegen genug PS-Reserven auch für künftige Restriktionen.

Was folgte war ein glamouröses Vierteljahrhundert im Zeichen der Zwölfender. Erst als Jaguar seine Alleinstellung bei den V12-Limousinen verloren hatte, zeigten sich die Engländer erneut innovativ. So wurden die durstigen Zwölfzylinder 1997 durch sparsamere und dennoch stärkere V8-Motoren ersetzt. Ein Downsizing, mit dem allerdings die Magie der Zwölf verloren ging. Weshalb alle Nachzügler in der V12-Klasse wie BMW (ab 1987), Mercedes-Benz (ab 1991), Audi (ab 2000) oder Rolls-Royce (ab 2003) auch künftig an derart symbolträchtigen Limousinen festhalten wollen, zumal neue Luxusmärkte in Asien und Osteuropa die Nachfrage stimulieren. Was macht den V-Zwölfzylinder zum Maß aller Dinge in Sachen Luxus? Diese Konstruktion kombiniert überragende Kraftentfaltung mit fast vibrationsfreier Laufruhe und schöpft bei jedem Tempo und jeder Drehzahl aus dem Vollen. Zur Laufruhe trägt die Anordnung der Zylinder in V-Form bei. Wenn auf zwei Zylinderbänken jeweils sechs Zylinder in Reihe arbeiten, werden die Massekräfte aus den Kolbenbewegungen optimal ausbalanciert und so ein günstigeres Vibrations- und Schwingungsverhalten erreicht. Nachteile des V12 sind ein größerer konstruktiver Aufwand, zusätzliches Gewicht und höhere Verbrauchswerte, denen heute mit Zylinderabschaltungen begegnet wird. Im Jahr 1971, der Geburtsstunde des Großserien-V12 bei Jaguar, waren Verbrauchswerte aber noch nachrangig, denn die Abgasgesetze konnten erfüllt werden und die Spritpreise waren erschwinglich.

Damals waren die Verkaufszahlen des 1961 eingeführten und vor allem in den USA überaus populären Jaguar E-Type eingebrochen und ein Nachfolger noch nicht in Sicht. Die Abgasbestimmungen hatten die für den US-Markt bestimmten Fahrzeuge auf 138 kW/187 PS Leistung kastriert – weniger als Corvette, AC Cobra und sogar Ford Thunderbird aufboten. Was also tun? Sir William Lyons, Gründer und Chef des Hauses Jaguar, forcierte die Implantierung eines ursprünglich für Rennzwecke entwickelten 5,3-Liter-V12 in den Straßensportwagen. 177 kW/241 PS genügten in den schwächeren US-Versionen des E-Type, um die Grauguss-V8 aus Detroit auf Distanz zu halten und die Presse jubeln zu lassen: „Jaguar ist es fast gelungen, einen Ferrari zum halben Preis anzubieten!“ So viel Lob und wieder abhebende Verkaufszahlen genügten, um nur ein Jahr später den Jaguar XJ12 vorzustellen. Schon die Mitte der 1960er Jahre geprägte, ursprünglich interne Projektbezeichnung XJ stand für „eXperimental Jaguar“. Womöglich ein früher Hinweis darauf, dass Lyons mit dem XJ von Anfang an die europäische Vorkriegstradition repräsentativer Zwölfzylinder-Limousinen wiederbeleben wollte. Immerhin hatte die von Jaguar übernommene Marke Daimler schon 1927 mit dem Modell Double Six die erste europäische V12-Limousine lanciert. Eine Tradition, die nun tatsächlich fortgesetzt wurde: Parallel zum XJ12 erschien deshalb ein neuer Daimler Double Six, der sich von der Jaguar-Limousine aber nur durch Details unterschied.

Allerdings war Daimler als älteste britische Marke fast von Beginn an auch Hoflieferant des englischen Königshauses. Vielleicht war der Daimler Double Six deshalb so erfolgreich, dass von der dritten und letzten XJ-Serie mit krönendem V12 mehr Daimler- als Jaguar-Zwölfzylinder abgesetzt wurden.

Die legendäre „Queen Mum“ bevorzugte bis zuletzt Reisen mit staatstragenden und schnellen V12, sowohl mit Jaguar- als auch Daimler-Typenschild. Von Beginn an machte auch die Jaguar-Limousine Schlagzeilen. Dazu genügten im Jahr 1972 sogar Details wie die Weltneuheit „Erste Zwölfzylinderlimousine mit Automatik und Klimaanlage“, war dies doch Voraussetzung für eine Exportoffensive nach Texas und in andere heiße Wüstenländer der Ölmultis. Es blieb allerdings immer zu hoffen, dass das edle Triebwerk unter solchen Einsatzbedingungen keine thermischen Probleme bekam. Zumal die schönen Viertürer über Jahre als „schnellste Großserienlimousinen der Welt“ an der 230 km/h-Marke kratzen.

Noch 1997 schmückten sich die letzten Jaguar V12 und Daimler Double Six mit den Lorbeeren allen anderen V12-Limousinen davon zu fahren, dazu verzichteten sie allerdings als einzige auf die damals übliche Abregelung bei Tempo 250. Gegen solche Argumente und gegen die bis zu 210 kW bzw. 285 Pferdestärken englischen Geblüts konnte Konkurrent Mercedes-Benz anfangs nur mit dem damals fast konkurrenzlos hohen Prestigewert und der Solidität seiner S-Klasse W116 bestehen. Allerdings genügte genau dies bereits um vorne zu bleiben wie die Verkaufszahlen zeigten, zumal die Jaguar XJ in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre an nicht unerheblichen Qualitätsproblemen litten. Die anfangs exorbitanten Trinkgewohnheiten und entsprechend häufige Tankbestellenbesuche wurden dem V12 dafür nicht einmal während der ersten Ölkrise zum Verhängnis. Es genügte, dass eine 1975 eingeführte Benzineinspritzung den Durst etwas zügelte.

Als BMW im Jahr 1987 den 220 kW/300 PS starken 750i mit dem ersten deutschen V12 der Nachkriegszeit präsentierte und den Nimbus des Jaguar XJ 12 als einzigem Zwölfzylinder-Flaggschiff zu beschädigen drohte, legten die schnellen Katzen mit frischem 6,0-Liter-V12 und 229 kW/311 PS Leistung nach. Dies gelang allerdings erst 1993 im letzten Jahr des Jaguar XJ 40. Zu spät, um auch die Konkurrenz aus Stuttgart abzuwehren: Der V12 im Mercedes-Benz 600 SE warf inzwischen 290 kW/394 PS in die Waagschale. Ein Wettrüsten, aus dem sich die Engländer diskret zurückzogen. Höhepunkt und krönender Abschluss der XJ-Limousinen mit staatstragendem Motor wurde die bereits mit finanzieller Unterstützung durch den neuen Konzerneigner Ford im Jahr 1994 eingeführte Serie X300. Nach nur drei Jahren musste der V12 frisch entflammten Diskussionen um Abgas- und Verbrauchswerte Tribut zollen und einem V8-Motor in der XJ-Serie weichen. Für alle Fans war es ein schwarzer Tag als am 17. April 1997 der letzte XJ12 vom Band rollte.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Jaguar

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