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Vor 40 Jahren sollte der Beta die Brücke in eine bella futura schlagen und aus Lancia eine schöne Fiat-Tochter formen. Nachdem der Turiner Autogigant die ingenieurgetriebene, aber marode Marke Lancia Ende 1969 durch Übernahme vor einem Verkauf an Ford bewahrt und zugleich die drohende Werksschließung verhindert hatte, lag es nun am neu entwickelten Beta, Stückzahlen zu machen und die Kassen wieder zu füllen. Eine Mammut-Aufgabe, die Lancias neue Mittelklasse mit Bravour löste – nicht zuletzt durch sechs eigenständige Karosserien aus vier unterschiedlichen Designzentren. Dazu zählen die zeitgeistige Fastback-Limousine aus dem Fiat-Designstudio, das elegante Coupé und der exklusive Shootingbrake HPE vom Lancia-Couturier Pietro Castagnero, aber auch der von Pininfarina konzipierte und von Zagato gebaute Spider sowie der Mittelmotorsportwagen Montecarlo, der ursprünglich als Fiat X1/20 geplant worden war.

Abgerundet wurde dieses Programm durch den Trevi, eine viertürige Limousine mit exzentrischem Stufenheck, kreiert von Pininfarina. Insgesamt rollten von Lancias erstem Modell unter Fiat-Regie in zwölf Jahren über 433.000 Einheiten vom Band, damals ein stolzes Resultat – und ein Ergebnis, das Lancia in diesem Segment so nicht mehr wiederholen sollte. Die Gründe dafür lagen nicht zuletzt in einer teils fragwürdigen Konzernstrategie und dem Rückzug aus vielen Exportmärkten. Der Anfang vom endgültigen Ende italienischer Lancia-Produktion, das Fiat vor wenigen Wochen für seine feine Tochtermarke angekündigt hat.

Begonnen hat die Beta-Geschichte mit einem Rekord. Während die Buchhalter bei Fiat noch stöhnten über die Kosten der Übernahme der fast bankrotten Marke Lancia und die entsprechende Belastung der Konzernbilanz, verfügte Fiat-Chef Giovanni Agnelli schon die Lancierung einer gänzlich neuen Lancia-Baureihe. Diese sollte im Rekordtempo von zwei Jahren entwickelt werden und auf dem Turiner Salon 1972 Premiere feiern. Das scheinbar Unmögliche gelang und der erste Lancia von Fiat wurde trotz Turiner Unterstützung ein echter Lancia wie die Presse zufrieden konstatierte.

Zwar hatten die Konstrukteure bei der Motorenfamilie auf einige Aggregate zurückgreifen müssen, die auch in Fiat-Modellen wie dem 132 arbeiteten, diese aber so weitgehend überarbeitet, dass sie eine Lancia-typische Leistungsentfaltung mit viel Drehmoment aus niedrigen Drehzahlen zeigten. Auch die designtechnische Unterstützung durch Fiat bei zwei der sechs Karosseriekonzepte änderte nichts daran, dass der Beta genügend Lancia-Gene für eine Erfolgsgeschichte in sich trug. Geschickt gewählt war bereits der Name der italienischen Mittelklasse-Familie. Beta als zweiter Buchstabe im griechischen Alphabet symbolisierte den zweiten Anfang der Marke und erinnerte zugleich an einen legendären Lancia von 1909, also aus der ruhmreichen Gründerzeit der Marke. Außerdem sollte der Beta bewusst mit der Nomenklatur seines Vorgängers Fulvia brechen.

Die Fulvia-Fans vermissten zwar die Lancia-typischen V4- oder Boxermotoren, konnten sich aber dennoch mit dem Beta anfreunden. Zählte doch die nur 4,29 Meter lange Schräghecklimousine zu den elegantesten und modernsten Businesslinern der frühen siebziger Jahre. Auf eine Heckklappe wie sie etwa der Renault 16 trug, verzichtete Lancia allerdings. Zu sehr hätte dieses Karosseriedetail die traditionelle Lancia-Klientel an die Funktionalität eines Kombis und damit an Handwerkerautos erinnert. Für diese gewerblichen Kunden sollte vorerst Fiat zuständig sein.

Stattdessen schob Lancia rasch ein edles Coupé auf verkürztem Radstand nach, das auf der IAA 1973 Weltpremiere feierte und zunächst von 1,6- und 1,8-Liter-Doppelnockenwellenmotoren zu sportlichen Fahrleistungen beschleunigt wurde. Drei Jahre später ersetzte der elegante Zweitürer nicht nur das legendäre Fulvia Coupé, sondern auch das ausgelaufene Fiat-124-Coupé. Insgesamt 113.000 Beta Coupé konnte Lancia bis 1984 absetzen, ein stolzes Ergebnis im Wettbewerbsumfeld. Von Sammlern und Enthusiasten besonders begehrt sind bis heute 1.272 Coupé VX, die ab dem Jahr 1983 von Volumex-Kompressoren auf eine Leistung von 99 kW/135 PS gebracht wurden, mehr als damals ein Porsche 924 zu bieten hatte.

Ohne Volumex-Vortrieb blieb der Beta Spider, der Ende 1974 mit Targa-Bügel vorgestellt wurde. Von Pininfarina gezeichnet und bei der Carrozzeria Zagato gebaut, sollte der Spider vor allem in den USA eine ähnliche erfolgreiche Karriere machen wie der Fiat 124 Spider. Eine Mission, die nicht gelang. Am abgasentgifteten, gerade einmal 60 kW/82 PS entwickelnden Motor wird es nicht gelegen haben, denn fast alle englischen und italienischen Roadster jener Jahre waren ähnlich kraftlos. Eher schon am Dachkonzept, das zwar Überrollschutz bot, aber eben nicht die grenzenlose Offenheit eines klassischen Spiders. So blieb der betagte Fiat 124 Spider am Ende länger in Produktion als sein designierter Nachfolger, der Beta mit Bügel.

Spektakulär gezeichnet war dagegen der Mittelmotorsportwagen Beta Montecarlo, ein Pininfarina-Entwurf, der optional auch als Targa mit Dachöffnung bestellt werden konnte. Für Vortrieb im Montecarlo sorgte ausschließlich die Spitzenmotorisierung, also der 88 kW/120 PS starke 2,0-Liter-Doppelnockenwellenmotor. Während die kraftlose US-Version Scorpion nach nur gut einem Verkaufsjahr scheiterte, konnte Lancia in Europa mit dem Montecarlo immerhin einen Achtungserfolg verzeichnen. Trotz einer kühnen Preisgestaltung – der Montecarlo kostete gegenüber dem Beta Coupé 50 Prozent Aufpreis und war damit teurer als ein vergleichbarer Porsche – entstanden in zwei Produktionszyklen immerhin knapp 8.000 Einheiten. Auch die glanzvolle Motorsportgeschichte von Lancia konnte er fortschreiben. Zunächst 1980 und 1981 mit Markenweltmeisterschaftstiteln in Sportwagen-Rennen und dann in der Rallye-WM in Form der Weiterentwicklung Lancia Rally 037.

Ein Meilenstein der Designgeschichte war der sogenannte Hochleistungskombi Beta HPE (High Performance Estate). Entgegen der Modellbezeichnung musste sich der HPE zwar mit den gleichen Motoren wie die anderen Beta begnügen, dafür fuhr er als einer der ersten Shootingbrake weit in die Zukunft. Nur Reliant Scimitar und Volvo 1800 ES präsentierten noch früher dieses extravagante Sportkombi-Konzept im Mittelklasseformat. Dafür war der Lancia HPE (die Bezeichnung Beta entfiel nach einigen Jahren) der erste erschwingliche Shootingbrake mit großer gläserner Heckklappe, kostete er doch kaum mehr als die Beta Limousine. Über 72.000 Lancisti entschieden sich für diese avantgardistische Form Beta zu fahren. Für Lancia ein geradezu sensationeller Erfolg, hatten die Marktauguren doch mit maximal 25 bis 30.000 Einheiten gerechnet. Noch heute ist der HPE auf dem Youngtimermarkt ganz besonders begehrt.

Das lässt sich vom Trevi weniger behaupten. Pininfarina hatte die Stufenhecklimousine Trevi (Tre Volumi – drei Volumen) eilig und mit kleinem Budget aus der Fließheckkarosserie geformt. Das Ergebnis war eine sehr eigentümliche C-Säule und ein biederer, klassisch angesetzter Kofferraum. Für einen Achtungserfolg auf dem Heimatmarkt genügte dies, in anderen Ländern blieb der Trevi bis Ende 1984 nur eine Randerscheinung. Dann wurde der in Kooperation mit Saab entwickelte Lancia Thema als Nachfolger angekündigt und zumindest die Beta Limousinen gerieten unverdient schnell in Vergessenheit.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Lancia, SPS

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