Liebe Leserinnen!
Liebe Leser!

Ende 2011 habe ich in meiner Wochenend-Kolumne mal das Thema „Gigaliner“ aufgegriffen. Sie werden sich erinnern, das sind diese bis zu 25 Meter langen Ungetüme, die jetzt in einem sogenannten „Feldversuch“ in sieben ausgewählten Bundesländern unterwegs sein dürfen, um herauszufinden: Entlasten diese fahrenden Riesen nun eigentlich unser Autobahnnetz, spart man Sprit durch sie, weil halt weniger Lkw gebraucht werden, oder sind sie zusätzliche Umwelt-Verschmutzer?
Nach gut einem halben Jahr habe ich in dieser Woche auf der nächtlichen Heimfahrt von einem Termin auf einer süddeutschen Autobahn so einen Zug zum ersten Mal gesehen. Auf der A8 war in einer 40 Kilometer langen Baustelle bei Augsburg ein (normaler) Lkw „verreckt“ und hatte alles für Stunden dicht gemacht. Mein kluges Navi hat mich vorher umgeleitet, was zur erwähnten Begegnung mit diesem „Dinosaurier der Landstraße“ geführt hat.

Ich gebe es ganz ehrlich zu: Zunächst hatte ich gar nicht gemerkt, welche „Begegnung der besonderen Art“ ich da hatte. Ich war mir im Gegenteil recht unsicher gewesen. Also bin ich auf den nächsten Parkplatz gefahren, habe den Riesen-Lkw passieren lassen, mich dann eine Zeit lang hinter ihn „gelegt“ und dann ganz bewusst und gemächlich an ihm vorbei getuckert. Es war ja mitten in der Nacht, und von hinten hat auch niemand gedrängelt. Da kann man so was schon einmal machen.

Natürlich wäre es vermessen, aufgrund dieses bisher ersten Aufeinandertreffens ein Urteil über Sinn und Unsinn dieses Experimentes zu fällen. Den Namen „Gigaliner“ aber tragen diese Ungetüme schon zu recht. Im Moment, in dem ich das Gefährt passiert habe, dachte ich aber eigentlich mehr an den Fahrer als an das Fahrzeug. Was muss das für ein Gefühl sein, so einen Riesen zu bewegen? Der muss ja irgendwann auch mal runter von der Bahn, auch wenn er bestimmte Streckenvorgaben und Verhaltensregeln hat.

Was fühlt wohl ein Mann, der auf dem „Bock“ eines solchen Gigaliners sitzt? So ein bisschen, habe ich mir gedacht, muss sich der doch wohl vorkommen wie der Pilot des neuen Himmelsstürmers A 380 oder der Kapitän des Super-Kreuzfahrers „Queen Mary“ auf den sieben Weltmeeren. Bewundernswert, so eine Fuhre mit den Ausmaßen eines Einfamilienhauses mit Garten anhand leichter Bewegungen der Hände, Arme und Fingerkuppen dirigieren zu können. Im australischen Outback war ich vor etlichen Jahren mal für ein paar Tage vom Fahrer eines sogenannten „Roadtrains“ mitgenommen worden. Die Dinger sind über 50 Meter lang und dürfen nur draußen vor den Städten parken. Na ja, unser „Outback“ vor der Haustür hat ja nun einmal seine topographischen Grenzen.

Dem Langzeitprojekt sollte man wirklich die Zeit geben, die man ihm eingeräumt hat (fünf Jahre), um zu einer schlüssigen Bewertung zu kommen. Es stehen ja schließlich auch gewaltig unternehmerische Entscheidungen dahinter. Und solange sich wie bisher noch neun Bundesländer gegen die Passage eines Gigaliners auf ihren Territorien verweigern, muss man eh‘ nicht über Einführungstermine o. Ä. diskutieren.

Das einzige „Langzeitprojekt“, das seit einem halben Jahrhundert immer noch andauert und seiner möglichen Vollendung – wann auch immer – entgegensieht, feiert in dieser Woche Bühnenjubiläum: 50 Jahre Rolling Stones: Wenn ich mir die aktuellen Fotos der rockenden und röhrenden Protagonisten in ihrer spätpubertären Kukident-Phase ansehe, denke ich bei mir: So ungefähr mag man (vor allem der Geisterbahntaugliche Keith Richards) wohl aussehen, wenn man von einem Gigaliner überrollt wurde. Was kaum zu beiderseitiger „Satisfaction“ führen würde …

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende. Ohne Gigaliner, vermutlich.

Ihr Jürgen C. Braun

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