Udo Lindenberg: Gänsehaut (Polystar).
In der Regel lesen Sie an dieser Stelle von CDs, die ganz frisch oder vor wenigen Monaten erschienen sind. Für Udo Lindenberg machen wir eine Ausnahme und erinnern, nachdem der 65. Geburtstag des Deutschrock-Urgesteins eine Weile her ist, an diese Zusammenstellung. Gänsehaut ist seit Jahren im Programm der Plattenfirma, meist als Bestprice-CD für unter 10 Euro zu haben und verdient nach unserer Meinung eine erinnernde Würdigung.
In den letzten Jahren hat er Schlagzeilen gemacht durch Bekenntnisse über jahrelangen Alkoholkonsum, seine Malereien, die er selbst Likörelle nennt und durch ein furioses Alterswerk mit dem Titel Stark wie zwei. Da macht er, wiewohl inzwischen altersweise, dem jungen Udo Lindenberg alle Ehre, der vor gut 40 Jahren die deutsche Musikszene aufzumischen begann.
Wir erinnern uns an die siebziger Jahre: Im ZDF stellte Dieter Thomas Heck monatlich in seiner Hitparade aktuelle Schlager vor, gesittet im Text, anspruchsvoll im Handwerklichen (Live-Gesang war Pflicht, Playback verboten) und in Ilja Richters Disco ging es schon mal etwas flippiger zu. Und dann sang (oder besser: nuschelte) plötzlich einer von Elli Pirelli und Andrea Doria, wurde zum Elternschreck für eine ganze Generation (die allerdings begeistert ihr Taschengeld für Udos LPs hinblätterte) und nahm Jahre später mit dem Sonderzug nach Pankow die deutsche Wiedervereinigung vorweg.
Alles richtig, alles gut, danke, Udo. Aber den noch größeren Dank schuldet Dir die Hörerschaft für Deine sanften Songs. Also für den Horizont, hinter dem es doch immer weiter geht (nicht so banal, wie es klingt und vor allem sehr wahr), für Ich lieb dich überhaupt nicht mehr (wie viele Scheidungen wären wohl zu vermeiden, hätten mehr Menschen den Mut zur Ehrlichkeit wie in diesem Text), ja, und auch für Wozu sind Kriege da (denn das fragen uns heute täglich nicht mehr nur die Schlagzeilen in der Zeitung, sondern im Internet). Gänsehaut können durchaus auch Kinder ihren Eltern schenken, so viel zum Thema Elternschreck.
