Buchtipp der Woche (1)

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Ian Johnson: Die vierte Moschee.
Klett Cotta; 22,95 Euro.

Den Bauch flach an den Boden gepresst, lag Garip Sultan in einem Maschinengewehrnest. Mit vorgerecktem Hals spähte er über das Grasland nach dem Feind aus. Die Rote Armee hatte ihn an den Rand der ukrainischen Stadt Charkow beordert; dort sollte er an vorderster Front die Stellung halten. Es war im Mai 1942, als die Deutschen zum massiven Gegenangriff ansetzten. Überall explodierten Granaten, ratterten Panzer. Der 19-Jährige schwenkte seinen Feldstecher über die ukrainische Steppe, sah aber nichts. Er war dem Untergang preisgegeben. Schwermütig dachte er daran zurück, wie er hier gelandet war.Sultan gehörte einer ethnischen Minderheit der Sowjetunion unter Stalin an, den Tataren in der Region Baschkirien, die im 13. Jahrhundert infolge der letzten großen Invasionswelle zentralasiatischer Nomaden unter der Herrschaft Dschingis Khans von Turk- oder Türkvölkern besiedelt worden war. Mit der Expansion Russlands hatten die Tataren – wie viele andere nichtrussische Völker, die fastdie Hälfte der Bevölkerung dieses Riesenreiches ausmachten – ihre Unabhängigkeit verloren.

Pulitzer-Preisträger Ian Johnson schreibt zu einem heiklen Thema – da ist es nur logisch, dass er seinem Buch eine Personenliste voranstellt und auch sonst mit Anmerkungen nicht spart. Was ansonsten beim Lesen bisweilen störend und lästig wirkt oder den Eindruck erweckt, der Autor wolle mit Wissen einfach ein wenig glänzen, erweist sich bei Ian Johnson als überaus sinnvoll. Zumal es einigen Mutes bedarf, sich einem so brisanten Anliegen zu widmen.

Hintergrund: Als Ian Johnson 2003 eine Londoner Buchhandlung betritt, macht er eine sensationelle und unheimliche Entdeckung:
Als wichtigste Moscheen werden Mekka, Jerusalem, Istanbul und eine Moschee in München genannt.
Warum München? Welche Moschee? Das islamische Zentrum von München wurde seit dem Dritten Reich und dem Kalten Krieg von Nazis, Agenten, gestrandeten Muslimen, islamistischen Fanatikern, von Akteuren aller Couleurs zum Bollwerk gegen die Sowjetunion aufgerüstet. Die CIA und andere Geheimdienste spinnen Intrigen, steuern Machtkämpfe und unterstützen radikale Islamisten der Moslembruderschaft – immer hinter dem Rücken der Öffentlichkeit.

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