Die Formel 1 erwacht in der Regel dann, wenn die Experten, die die Ereignisse und Ergebnisse vom Vortag zu später Stunde noch bei Pils im Pub diskutiert haben, noch ihr Date mit dem Sandmännchen pflegen. Das große Pressezentrum an der Rennstrecke, von dem aus an diesem Wochenende etwa 600 Journalisten weltweit über den Großen Preis von Deutschland berichten, öffnet morgens um sieben Uhr. Die Berichterstatter aus Fernost und Australien, deren Abnehmer dann schon bis zu zehn Stunden Vorsprung haben, sind morgens die Ersten. Ein Großteil von Ihnen hat die Redaktionen zu Hause schon während der Nacht via Laptop aus der Hotel-Unterkunft bedient.
Um diese Zeit kommt auch in den Hinterhof der Formel 1, das Fahrerlager, allmählich in Bewegung. Die gewaltigen, bis zu zehn Meter langen Lastzüge mit dem technischen Equipment und die glitzernden Motorhomes stehen nach einem festen Lageplan wie riesige Trutzburgen nach einem festen Lageplan im Fahrerlager direkt hinter den Boxen. Deren Aufstellung richtet sich bei jedem Formel-1-Rennen der Saison nach der Punktvergabe der Konstrukteurswertung des Vorjahres. Vorn Ferrari, hinten, am Katzentisch Force India. Dazwischen, fein säuberlich wie an der Perlenschnur aufgereiht dem Ranking folgend der Rest. Nicht zu vergessen gegenüber von Ferrari die drei miteinander verbundenen dunkelblauen Züge mit der Aufschrift FIA in riesigen goldenen Lettern. Miteinander verbundene Wohnzimmer, in der an diesem Tag eine italienische Großfamilie mit Anhang ohne Platzangst ihre jüngste Tochter vermählen könnte.
Die ersten menschlichen Lebewesen früh morgens sind die Mitglieder der Reinigungsfirmen, die – mit elektronischem Pass ausgestattet – die rollenden Villen für den Tag auf Hochglanz bringen. Gefolgt in der Regel von massigen Gestalten mit kantigen Schädeln, schwarzen Anzügen, die eigentlich nie richtig sitzen, Sonnenbrillen und dem unvermeidlichen Knopf im Ohr. Aus den Technik-Lkw's hört man schon kurz nach acht die Geräusch-CD bestehend aus zischenden Luftdruck-Geräten, Werkzeug Klappern, Türen knallen und babylonischem Sprachgewirr der Mechaniker.
Das Fahrerlager bevölkert sich stetig, je mehr es Richtung Mittag geht. Bis zum ersten Training heftiges Gewusele der Mechaniker und Service-Leute hin und her. Allmählich macht sich auch die offizielle Fotografen-Meute, ausgestattet mit überdimensionalen FIA-Lätzchen sowie Objektiven und Stativen, die eher einem gut sortierten Waffenarsenal als Fotoapparaten ähneln, auf Beutezug. Professionelle Formel-1-Fotografen sind wie Schweißhunde. Haben sie einmal Witterung aufgenommen, sind sie nicht mehr von der Fährte abzubringen. Schon knapp eine Stunde vor dem Vormittags-Training treffen heute, am Tag des Qualifyings, die Ersten vor dem gemeinsamen Luxusdampfer von Red Bull und Toro Rosso ein. Warten darauf, für drei bis fünf Sekunden Jungstar Sebastian Vettel vor die Linse zu bekommen.
Der legitime Schumacher-Erbe und neu geborene Messias wider Willen kommt kurz vor dem Training freundlich lächelnd und raschen Schrittes aus der mobilen Behausung Richtung Red-Bull-Box. In Begleitung von A-Promi Niki Lauda und dahinter ein paar B- bis C-Promis in jenem Abstand, der zwar die nötige Reverenz erweist, aber dennoch klein genug ist, um vielleicht gerade noch mit aufs Bild oder in den Kamera-Schwenk zu kommen. Auch zu derlei medialen Überlebens-Maßnahmen gehört eine gewisse Portion an Übung und Impertinenz.
Für Sekunden bricht ein Blitzlicht-Gewitter und ein ratternder Tornado von klickenden Kamera-Auslösern, die pro Sekunde Gott weiß wie viele Bilder schießen los. Erwachsene Menschen schubsen und rempeln sich im Auftrag der globalen Kommunikation ohne Rücksicht gegenseitig auf kleinstem Raum. Kamera-Gehäuse schlagen gegeneinander, bedauernswerte mediale Hilfsarbeiter versuchen verzweifelt ihre Mikrofon-Galgen in die richtige Position zu bringen und dabei im Gewirr der Kabel-Knäuel nicht über einander zu fallen und sich sämtliche Knochen zu brechen. Dann ist der Spuk vorbei. Super-Seb hat die Tür zur Box hinter sich zugezogen.
Szenenwechsel: Zur gleichen Zeit verlässt Felipe Massa das Ferrari-Motorhome, unterhält sich ungestört mit zwei Kollegen der Gazetta. Ebenso viele Kameras zieren das eher friedliche Bild. Massenauflauf bei Ferrari? Fehlanzeige. Aber da war doch mal was, haben wir uns da nicht mal um ein paar Zentimeterchen Platz gestritten und unsere Ellbogen-Muckis eingesetzt? 0der sollten wir uns so sehr irren?
Text und Fotos: Jürgen C. Braun