Das Zauberwort der neuen Formel-1-Saison hat nicht nur vier Buchstaben. Es hat auch, bevor es überhaupt eingeführt wird, ein nicht gerade berauschendes Image: Wenige wissen, was sich hinter den vier Buchstaben verbirgt, noch weniger aber wissen überhaupt, wer denn nun auf die neue Zauberformel setzen darf, will, muss oder soll. Und vor allen Dingen, ab wann? Die Frage aller Fragen lautet also: Was bitte schön ist KERS? Die vier Buchstaben KERS stehen für Kinetic Energy Recovery System, ist also auf gut Deutsch ein System zur Rückgewinnung von Energien. Dabei wird beim Bremsen gewonnene Energie gespeichert, die dann per Knopfdruck für gut sechs Sekunden eine zusätzliche Leistung von etwa 80 bis 81 PS bringt. Der Einsatz des neuen Systems in der Saison 2009 ist optional. Das heißt gut eine Woche vor dem ersten Rennen nicht nur, dass jeder der zehn Rennställe mit oder ohne KERS zum Saisonbeginn fahren darf oder es lassen kann. Es heißt auch, dass die wenigsten Teamchefs es selbst wissen, oder es zumindest noch geheim halten. Weil die Entwicklungsphase relativ kurz war und viel Kinderkrankheiten – so befürchten auch die Renningenieure – erst während des Rennbetriebs auftreten werden.
Ohne wenn und aber hat sich bisher nur BMW-Sauber für den Einsatz der neuen Technologie entschieden. Die meisten anderen Konkurrenten sind noch unschlüssig. Red Bull beispielsweise wird in den drei ersten Rennen der neuen Saison auf jeden Fall noch auf den Einsatz des Energierückgewinnungssystems verzichten. Red-Bull-Pilot Sebastian Vettel sagte in einem Gespräch mit der Frankfurter Rundschau, dass die mit dem Hybridsystem zwar gut verlaufen seien. Dennoch wolle der Rennstall des österreichischen Milliardärs Dietrich Mateschitz kein Risiko eingehen und vorerst ohne KERS fahren.
Die vielen Motorsportfreunde aber wissen trotz aller Diskussion um eine der größten technischen Neuerungen der letzten Jahre in der Formel 1 mit dem Begriff KERS und der prägnanten Formel System zur Energie-Rückgewinnung entweder sehr wenig oder auch gar nichts anzufangen. Daher an dieser Stelle für alle diejenigen Leser, die sich eher für die Technik interessieren, als für den Zeitpunkt der Freigabe oder die Anzahl der die Energie nutzenden Teams, eine etwas weiter führende Erläuterung der Materie: Das Kürzel deutet auf die Auswirkungen hin: KERS kann die Bewegungsenergie (kinetische Energie) des Autos, die beim Bremsen bislang in Form von Reibungshitze wirkungslos verpuffte, speichern und dann wieder für den Antrieb nutzen. Als Energiespeicher kommen dabei Batterien oder ein Schwungrad in Frage. Das Formel-1-Reglement begrenzt für die Saison 2009 die Obergrenze des zusätzlich abrufbaren Schubs auf 60 kW, das sind etwa 80 bis 81 PS. Insgesamt darf ein Fahrer pro Runde nicht mehr als 400 kJ abrufen. Das entspricht einem Einsatz der 60 kW über eine Dauer von knapp sieben Sekunden.
Die technische Herangehensweise an die Lösungsmöglichkeiten für KERS ist vom Reglement freigestellt. In der Experimentierphase verfolgten die Formel 1-Ingenieure dabei zwei unterschiedliche Wege: Der erste besteht in einem Schwungrad aus Kohlefaser, das mit extrem hohen Drehzahlen in einem Vakuumzylinder rotiert und über eine variable, stufenlose Übersetzung(CVT) mit dem Differenzial verbunden ist. Dieses System speichert große Mengen mechanischer Energie und bietet zusätzlich den Vorteil, dass es unabhängig vom Getriebe angeordnet werden kann. Um seine Kraft präzise zu nutzen, sind allerdings kraftvolle und entsprechend sperrige Regler erforderlich, die viel Platz in Anspruch nehmen. Die zweite Möglichkeit: Ein Elektromotor wandelt beim Bremsen die kinetische Energie wie ein Generator in Strom um, speichert sie in Batterien und lässt sie bei Bedarf wieder in den Antriebsstrang fließen.
KERS hatte im Vorfeld zwei massive Problemfelder: Das war einmal die Entwicklungszeit und zum zweiten die Sicherheit in der Erprobungs- und später in der Anwendungsphase. Das Zeitfenster für die Entwicklung und den Bau dieses Systems war mit 18 Monaten von Beginn an sehr knapp bemessen. Einige Teams gerieten dabei in massive Terminprobleme, auch weil sie den Entwicklungsaufwand für die von ihnen jeweils bevorzugten Lösungen offenbar unterschätzt hatten. Vor allem aber erwies sich die Sicherheit als eine sehr sensible Frage, und bei manchen Erprobungen wurden zum Teil Besorgnis erregende Vorfälle konstatiert: Um Fahrer und Mechaniker vor eventuellen gefährlichen Stromstößen zu schützen, wurden daher umfangreiche Sicherheitstrainings nötig. Einen hundertprozentigen Schutz aber können auch diese nicht garantieren.
Insgesamt scheint das Hybrid-System selbst, wie auch dessen Einsatzpunkt und seine optionale Handhabe noch verbesserungsbedürftig zu sein. Der Gedanke einer möglichen Energie-Rückgewinnung in der Formel 1 ist sicherlich löblich, die Lösungsansätze bis zu einer Muss-Vorgabe erscheinen aber noch sehr überdenkenswert.
Text: Jürgen C. Braun, Fotos: Industrie.