Beitragsbild
Foto 1
Foto 2

Pascal Parisot – Clap! Clap!. (Le Pop Musik/GrooveAttack)

Fredda: Toutes mes aventures. (Le Pop Musik/Groove Attack)

Was ist eigentlich Neo-Chanson? Diese oft gestellte Frage lässt sich ganz gut am Beispiel von Pascal Parisot beantworten, der mit Ça Alors (Le Pop 2) und Tout va bien (Le Pop en duo) zwei der größten Hits zu unserer Compilation-Reihe beigesteuert hat: Kaum einer vermag es wie er, geradezu klassisch die französische Chansontradition zu pflegen und gleichzeitig immer wieder überraschend und äußerst modern zu klingen. Parisot besitzt die perfekte Balance aus Chanson und Pop, er ist ein Meister des ironisch-gebrochenen Exotica-Swings und ein Charmeur mit einzigartiger Stimme – die in Frankreich wegen ihrer Tiefe und Phrasierung immer wieder mit der Gainsbourg verglichen wird. Lassen wir diesen inflationär gebrauchten Vergleich beiseite und applaudieren lieber seinem neuen Album mit dem entsprechenden Titel Clap! Clap!.

Clap! Clap! ist bereits das dritte Album des Multiinstrumentalisten Pascal Parisot und zugleich das erste, das er nach seinem Abschied vom Branchenriesen Sony für das Indielabel Traffix Music aufgenommen hat. Es ist das Produkt der Kollaboration mit seinem langjährigen Freund, dem Schlagzeuger und Perkussionisten Jacques Tellitocci. Dass die Zusammenarbeit Früchte getragen hat, zeigt sich an der rhythmischen Vielfalt und Variabilität des Albums: Egal ob Walzer (Puisque c'est comme ça), Reggae (Le roi des cons), Tango (Mais que dit-on) oder immer wieder Bossa und Rumba – Parisot-Stücke stehen immer auf der Basis ausgetüftelter, oft exotischer Rhythmen entlang derer sie sich mit beispielloser Lässigkeit entfalten. Allzu schnell wird Parisot daher in die Easy Listening- oder Exotica-Ecke gestellt. Wer genau hinhört wird jedoch schnell merken, dass sich hinter den bei aller Originalität immer sehr anspruchsvollen Arrangements die hohe französische Chanson-Writer-Schule offenbart. Nach Erscheinen seines Debutalbums Rumba (mit dem unwiderstehlichen Ça alors) im Jahre 2001 wurde Pascal Parisot oft mit Boris Vian verglichen – und in der Tat haben die beiden einiges gemein an jazziger Verschrobenheit und spleenigen musikalischen Ideen. Mit Clap! Clap! geht Parisot noch einen weiteren Schritt Richtung Jazz: Zum immer schon großen Repertoire an Instrumenten haben sich Bläser gesellt (man höre nur den unnachahmlichen Posauneneinsatz bei Le naturel, das sich auch auf unserer aktuellen Compilation Le Pop 4 findet) und der Sänger setzt seine Stimme immer wieder lautmalerisch wie ein Instrument ein. Diese charakteristische Art des Gesangs ist mittlerweile zum Markenzeichen seiner Aufnahmen geworden. Eine besondere Klangfarbe zum versponnenen Parisot-Universum fügt seit jeher seine Frau Frédérique Dastrevigne (Künstlername Fredda) hinzu. Als musikalisch kongeniale Partnerin setzt sie immer wieder Akzente mit ihrem Background- oder Duettgesang (wie beim Opener Les filles). Clap! Clap unterstreicht – noch deutlicher als die beiden Vorgängeralben Rumba und Wonderful – das große Talent Parisots als Songwriter, das sich paart mit einer schier unendlichen Vielfalt an Ideen und Werkzeugen, die seine Chansons mit Raffinesse und Witz ausstatten.

Mit seiner Interpretation des Chansongenres passt Pascal Parisot in das Le Pop Universum wie eigentlich kein Zweiter: Er verbindet Charme mit Originalität und klassisch geschultes Songwriting mit clever arrangiertem Pop.

Pascal Parisot liebt es aufzutreten, doch Live-Alben mag er eigentlich nicht. Gleichsam als Verbeugung an das Konzert als Kunstform hat Clap! Clap! ein Intro mit Bühnenauftritt und Publikumsbegrüßung sowie ein Schlussstück, bei dem er seine Mitmusiker – wie Albin de la Simone und Fredda – vorstellt. Eine typische Parisot-Idee, die auch daher rührt, dass er seine Karriere einst als allabendlich auftretender Barpianist gestartet hat, bevor er sich in Paris zu einem der zentralen Akteure der Szene um Mathieu Boogaerts, -M-, Thierry Stremler und Vincent Delerm entwickelte.

Gleichzeitig erscheint Toutes mes aventures von Pascal Parisots Ehefrau Fredda in Deutschland (und Österreich): Zehn Perlen zeitloser Popmusik versammeln sich auf Toutes mes aventures. Zehn unwiderstehliche Melodien, getragen von einer betörenden Stimme, wie man sie in Frankreich selten hört: Weder Pop-Lolita mit gehauchtem Gesang noch dramatische Chanteuse, singt Fredda mit der Selbstverständlichkeit einer an verschiedenen Genres geschulten Sängerin. Dazu spielt sie virtuos auf dem Banjo, lässt sich von ihrem Partner Pascal Parisot am Klavier begleiten, bettet ihre Songs in Streichersätze ein und überrascht uns mit Bläser-Sätzen zwischen New-Orleans-Dixie und Pariser Swing. Die Arrangement-Ideen, die zum großen Teil von Pascal Parisot stammen, sind weit mehr als subtile Tupfer: Die für französische Verhältnisse typische Arbeitsteilung Auteur-Compositeur und Arrangeur zeigt einmal mehr, wie sich die Talente des Musikerpaars Fredda/Parisot ergänzen. Dabei ordnen sich die Arrangements nicht der großen Begabung der Songschreiberin und Sängerin unter, sondern bringen ihre unwiderstehlichen Hooklines in einem kongenialen Soundgewand zur Geltung. Gleich beim ersten Stück Barry White funktioniert dies geradezu exemplarisch: Der Song ist weniger eine Hommage an die Musik des wuchtigen Soul-Sängers als ein nostalgischer Rückblick auf eine Zeit, als Fredda sich in Clubs rumtrieb und unter Disco-Kugeln zu langsamen Barry-White-Songs tanzte. Illustriert wird diese fast schon schwüle Stimmung durch einen verschleppten Beat und Philly- Streicher. Das Stück ist typisch für Freddas Arbeitsweise, musikalisch perfekte Entsprechungen zum jeweiligen Thema eines Songs zu finden. Barry White ist aber auch ein Beispiel für Freddas Talent, Melodien zu schreiben, die sofort ins Ohr gehen und dort eine ganze Weile bleiben – kurz: Das Stück ist ein Hit. Und es folgen neun weitere. Das verspielte Bandit Manchot erinnert (wieder passend zum Sujet) mit Streichern und Westerngitarre an Filmmusik von Ennio Morricone. Les rose des filles, mit Destination Nouvelle Chanson – Freddas musikalische Abenteuer locker schwingenden Banjo und einer herrlich-altmodischen Klarinetten-Melodie, ist ihrer Mutter gewidmet und dreht die Zeit noch ein Stück weiter zurück. Ganz verwegen der Aufbau von Pas par moi: Hier lässt Fredda zunächst ihre Stimme synchron zum Walking Bass spazieren gehen, um sie dann nach einem Break ganz allein mit Streichern zu untermalen. Und es geht so weiter bis zum Schlusstrack Hôtesse wagon-lits, eines der vielen autobiographischen Stücke, das von der Zeit erzählt, als die Künstlerin noch als Schlafwagenstewardess ihren Lebensunterhalt verdiente – und zu dem Entschluss kam J'ai voulu faire chanteuse (frei übersetzt: Ich wollte lieber Sängerin werden). Das ist sie nun schon seit geraumer Zeit. Zusammen mit ihrem Lebenspartner Pascal Parisot tingelte sie, nach Gesangs- und Gitarrenkursen an diversen Musikschulen, über sieben Jahre lang durch Frankreichs Bars, bevor sie zum ersten Mal auf Parisots Debut-Album Rumba als Background- und Duett-Sängerin (u. a. bei Ça Alors) zu hören war. Zusammen mit Parisot gründete sie zudem das Projekt Radiomatic, das mit Coverversionen von Sixties-Yéyé-Klassikern über Frankreich hinaus einigen Erfolg in Japan hatte. Neben der Studio- und Bühnenarbeit mit ihrem Partner arbeitete die Pariserin kontinuierlich an eigenen Chansons. Jetzt scheint es, als hätte Frédérique Dastrevigne in ihrer Inkarnation als FREDDA ihre Bestimmung gefunden.

Das vielleicht Erstaunlichste an diesem Albumdebut ist, dass es wie eine aufwendige Majorproduktion klingt, obwohl es mit kleinem Budget in Eigenregie produziert und eingespielt wurde. Ein seltener Beweis für die Paarung von Kreativität und musikalischem Talent mit Beharrlichkeit und Ausdauer. Wir sind uns ganz sicher, dass nach Tout mes aventures noch weitere Abenteuer in Freddas Solo-Karriere folgen werden.

Nach oben scrollen