Ein Autofahrer darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass sich ein erwachsener Fußgänger verkehrsgerecht verhält. Der Autofahrer muss aber sofort reagieren, wenn offensichtlich ist, dass sich eine gefährliche Situation anbahnt. Dies geht aus einem Urteil des Oberlandesgericht Rostock vom 23. September 2005 (Aktenzeichen: 8 U 88/04) hervor, wie die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitteilt.
Eine 71-jährige Fußgängerin wollte außerhalb einer geschlossenen Ortschaft eine Straße überqueren. Sie blieb mitten auf der linken Fahrbahn stehen, obwohl es ihr ohne weiteres möglich gewesen wäre, die Straße vor Erreichen des nächsten Autos zu überqueren. Ein Auto näherte sich mit etwa 80 km/h. Kurz bevor es die Unfallstelle erreichte, ging die Fußgängerin los. Sie wurde von dem Auto erfasst und schwer verletzt. Ihre Krankenkasse verklagte die Autofahrerin.
Das Gericht stellte fest, dass die Fußgängerin ein erhebliches Mitverschulden traf. Sie hätte die Fahrbahn zügig überqueren müssen. Jedoch hätte die Fahrerin aufgrund des außergewöhnlichen Verhaltens der Fußgängerin ihre Geschwindigkeit reduzieren und bremsbereit sein müssen. Normalerweise müsse man nicht mit einem falschen Verhalten eines Fußgängers rechnen, wenn dieser am Fahrbahnrand stehen bleibe. Die Fußgängerin habe in diesem Fall aber auf der Fahrbahn gestanden, die Autofahrerin hatte dieses merkwürdige Verhalten auch bemerkt und hätte reagieren müssen.
©Verkehrsrechts-Anwälte im Deutschen Anwaltverein