Mit der Fertigung des ersten Hochrades im Jahr 1886 in Rüsselsheim begann ein wichtiges Kapitel in der Opel-Firmengeschichte. Bereits 1927 avancierte das Unternehmen zum größten Zweiradhersteller der Welt. Zahllose Rekorde und Sporterfolge machten die Marke bekannt, allein über 560 Siege errangen die fünf Opel-Söhne. Mit der Konzentration aufs Automobilgeschäft und dem Verkauf der Fahrradproduktion an NSU endete 1937 nach über 2,6 Millionen gefertigten Fahrrädern das Zweirad-Kapitel. Begonnen hatte die Geschichte der Fahrradproduktion bei Opel mit dem Weihnachtsfest 1885.
Adam Opel schenkt jedem seiner Söhne Carl, Wilhelm, Heinrich, Friedrich und Ludwig ein Velociped. Bekanntschaft mit der neuartigen Erfindung hat Adam Opel bei seiner Hochzeitsreise im Vorjahr in Paris gemacht, wo Zweiräder bereits zum Straßenbild gehören. Die Probefahrt auf dem Hochrad am ersten Weihnachtsfeiertag endet für den Firmengründer im Straßengraben, der anschließende Verkauf der offenbar gefährlichen Weihnachtsgeschenke bringt allerdings einen beträchtlichen Gewinn ein. Die erlöste Summe überzeugt Adam Opel von den kaufmännischen Möglichkeiten des neuen Verkehrsmittels. Schon im Frühjahr 1886 verlässt das erste Hochrad die Werkshallen, die konstruktiven Vorgaben liefert die führende englische Fahrradindustrie. 1887 studiert der älteste Sohn Carl Opel in England die Fertigungsmethoden der marktbeherrschenden Hersteller. Dort hat sich das Fahrrad neben Pferd und Kutsche sowie als Sportgerät bereits etabliert. Kurz darauf wird die eigene Produktpalette ausgeweitet. Neben den Hochrädern, bei denen das Auf- und Absteigen akrobatisches Geschick vom Fahrer verlangt, werden so genannte Sicherheits-Niederräder und Dreiräder hergestellt. Die erste Anzeige kündet vom hohen Freizeitwert der Neuentwicklung: Das Vergnügen des Radfahrens ist keinem Alter und Stand verschlossen, selbst Damen und älteren Herren bietet das Dreirad Gelegenheit zu gesunder Erholung. Das Fahren übt eine für Körper und Geist gleich kräftigende Wirkung aus. Rüsselsheim, Dezember 1887, Adam Opel. Marketing 1887!
1888 wird die erste Fabrikhalle eingeweiht, die der Zweirad-Produktion vorbehalten ist. Die Proteste anderer Verkehrsteilnehmer anlässlich des Auftauchens der neuartigen Zweiräder werden im gleichen Jahr vom Reichsgericht abgelehnt: Beim Aufeinandertreffen zweier Fuhrwerke – etwa Kutsche und Velociped – muss jeder Fahrer auf sein Fuhrwerk aufpassen und gegebenenfalls absteigen. Zweirad-Fahrer sind mit Kutschern und Reitern somit gleich gestellt. Die wachsende Beliebtheit von Fahrrädern – eine Folge des einfacher und sicherer zu bedienenden Niederrads – macht sich in den Verkaufs- und Beschäftigten-Zahlen bemerkbar. 1889 sind bei Opel in Rüsselsheim erstmals mehr als 1.000 Menschen beschäftigt, die neben Nähmaschinen 2.200 Hoch- und Niederräder bauen. Im selben Jahr kann das Unternehmen den ersten bedeutenden Sporterfolg seiner Geschichte verbuchen. Der Radrennfahrer August Lehr erringt in London auf einem Hochrad die Meisterschaft der Welt und feiert gleichzeitig seinen 240. Sieg auf einem Opel-Rad.
Das Sportengagement macht das Unternehmen bekannt, berühmt wird es durch die Erfolge und Meisterschaften der fünf Opel-Söhne. Carl gewinnt insgesamt 60 erste Preise, Wilhelm 70, Ludwig über 100 und Heinrich 150. Erfolgreichster Opel-Fahrer ist Fritz mit über 180 ersten Plätzen. Einer seiner größten Triumphe bleibt der Sieg bei der Fernfahrt Basel-Cleve im Jahr 1894. Für die 620 Kilometer benötigt er 27 Stunden und 50 Minuten. Sein Rad: Die 1893 eingeführte Halb-Rennmaschine Opel-Victoria-Blitz, deren Bezeichnung in ferner Zukunft zum Typennamen der Nutzfahrzeugpalette Opel Blitz und anschließend zum Markenzeichen des Unternehmens werden wird. Die werbewirksamen Auftritte der fünf Brüder mit ihrem fünfsitzigem Fahrrad, dem Quintuplet, zeugen vom Aufkommen neuer Reklamestrategien. In Rüsselsheim lässt Adam Opel eigens für Neukunden einen Fahrsaal zu Übungszwecken errichten, Ehefrau Sophie fungiert zeitweilig als Instruktorin. Zudem wird in Rüsselsheim ein Radfahrer-Verein gegründet und für den wachsenden Markt das Damenrad konzipiert. Transporträder erfreuen sich bei Handel und Reichspost großer Beliebtheit. Die erste Krise kommt 1898. Überproduktion führt zum Sterben vieler kleiner Marken, auch bei Opel sinkt die Fertigung von rund 16.000 Einheiten auf nur noch 11.500 Stück im Jahr 1900. Die Abhängigkeit vom Fahrradbau ist nur allzu deutlich, bei der Suche nach neuen Geschäftsfeldern werden die Opel-Söhne in Dessau fündig. 1899 beginnt mit dem Bau des ersten Opel-Patentmotorwagens System Lutzmann der Automobilbau bei Opel.
Nach einem großen Brand im Werk wird 1911 die Herstellung von Nähmaschinen beendet und der Zweiradbau forciert. 1927 avanciert Opel zum größten Fahrradhersteller der Welt, 15.000 Händler vertreiben Räder aus Rüsselsheim. Auf dem Höhepunkt der Fahrradproduktion und nach der Einführung des Fließbands Mitte der 20er Jahre verlässt alle sieben Sekunden ein Fahrrad die Fertigung. Der Ruf als Marktführer verpflichtet: Opel verfügt über einen eigenen Rennstall und eine Werksmannschaft. Die Fahrer auf gelb-schwarzen Rennrädern vom Typ ZR3 zählen zu den Favoriten aller großen Rennen. Schon der dreifache Tour de France-Sieger Philippe Thys aus Belgien setzte bei seinen Siegen 1913, 1914 und 1920 auf Rennräder aus Rüsselsheim. 1925 wird der Franzose Robert Grassin auf Opel Steher-Weltmeister. Steher-Rennen, bei denen die Rennfahrer im Windschatten eines vorausfahrenden Motorrads Steher-Qualitäten beweisen müssen, sind im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts überaus populär. 1928 wird das Jahr der Sensation. Der Text eines Werbeplakats: Opel bricht den Weltrekord.Auf der Autorennbahn von Montlhéry bei Paris gelang dem belgischen Dauerfahrer Léon Vanderstuyft hinter dem Schrittmacher Lehmann 122,771 km in der Stunde zurückzulegen und damit den von Brunier vor drei Jahren an gleicher Stelle errungenen Weltrekord von 120,900 km/h zu brechen. Weitere Rekorde stellte er auf über 25 km (12:41,8), über 50 km ( 24:44,8) und über 100 km (49:00). Die unerhörten Leistungen waren nur möglich mit einem Rad, das höchste Leichtigkeit mit höchster Festigkeit verbindet. Vanderstuyft benutzte daher das Rad, das in seiner Güte einzigartig dasteht, das Rad der größten Fahrradwerke der Welt, das Rad der Räder OPEL. Ein Rekord, der noch fast 80 Jahre später Bestand hat. Das Steher-Rad des Weltmeisters ist noch heute in Opel-Besitz und zusammen mit einer restaurierten Steher-Maschine Teil der historischen Sammlung. Dieses gewaltige, 250 Kilogramm schwere Gefährt besitzt einen Opel-Automobil-Motor. Der 1,6-Liter-Vierzylinder besteht aus paarweise zusammen gegossenen Zylindern mit Querstrom-Zylinderköpfen, die Leistung beträgt circa 30 PS. Die Leistung wird durch zwei lederne Flachriemen über hölzerne Riemenscheiben auf das Hinterrad übertragen.
Entscheidende Neuerungen halten Einzug in die Produktion: 1930 werden die für mehr Fahrkomfort sorgenden Ballonreifen in das Programm aufgenommen und 1933 präsentiert Opel den verwindungssteifen Doppelrohr-Rahmen. Dieses Prinzip ist der bedeutendste Fortschritt in der Fahrradkonstruktion seit der Einführung des Freilaufs, wirbt die Adam Opel AG für ihr neues Produkt. Die offizielle Verkaufsbezeichnung ist Doppelstabil. 1936 folgt nach 50 Jahren Fahrrad-Produktion der letzte Höhepunkt. Opel ist offizieller Ausstatter des Botendiensts im Olympischen Dorf in Berlin. Am 15. Februar 1937 produziert Opel das letzte Fahrrad. Es gehört der Blau-Chrom-Klasse an und trägt die Seriennummer 2.621.964. Im Jahr des 75-jährigen Firmenjubiläums erfolgt mit dem Verkauf der Fahrradfertigung an NSU – wo noch für ein Jahr Fahrräder mit der Bezeichnung Opel-NSU hergestellt werden – die Konzentration auf das Automobilgeschäft; Opel ist Europas größter Automobilproduzent. Nach rund 2,6 Millionen Exemplaren und 51 Jahren endet dieses Kapitel der Opel-Mobilitäts-Geschichte.