Lieber Leser, wissen Sie, was ein Steuer-Künstler ist? Nein, gemeint istniemand, der möglichst erfolgreich mit dem Finanzamt umzugehen weiß, sondernin diesem Fall sind eher die Steuerkünste am Lenkrad eines Autos gefragt.Auch nach gut einem Jahrzehnt journalistischer Arbeit beim größten Radrennender Welt hat man noch längst nicht alles erlebt, was das Zusammenspiel vonFahrrad und Automobil in seinen ganzen Facetten zu bieten hat. Am Samstagbeispielsweise, als gut eine Million Menschen den Weg des Lindwurms durchden Schwarzwald verfolgten, waren nicht nur Steuerkünste, sondern auch dieBewältigung von Stress-Situationen, Platzangst und die vermeintlicheGewissheit, dass Mensch und Auto diesen Irrsinn nicht heil überstehenwürden, gefragt.
Nach dem Start in Pforzheim ging es hinauf auf den Dobel, ein Anstieg, dendie Fahrer, wären sie des Schwäbischen mächtig, wohl eher als e SchippleSand bezeichnen würden. Wenn das Schipple aber hoffnungslos verstopft istmit einer Horde wild gewordener Radsport-Fans, wenn sie scheinbar jedenZentimeter der Straße blockieren, dem Fahrer den Blick auf denAsphalt-Untergrund versperren, dann schlägt der AdrenalinspiegelPurzelbäume. Meter-, ja manchmal zentimeterweise schoben wir uns gut eineStunde vor dem Feld den Berg hinauf. In Erinnerung früherer Gepflogenheitender Umstehenden hatten wir wohlweislich sämtliche Fenster verriegelt, denneine Bierdusche aus nächster Nähe am frühen Nachmittag ist nicht unbedingterbaulich zu nennen. Dennoch: Es gibt so gut wie nichts, was sich die schonseit Stunden ausharrenden Menschen am Straßenrand nicht ausdenken können, umsich die Langeweile vor dem großen Ereignis zu vertreiben. Da legt sicheiner grölend vor dem Auto auf die Straße, ein Zweiter drapiert eine riesigeFahne über der Windschutzschutzscheibe und ein Dritter meint besonderslustig zu sein, indem er dir die Bild-Zeitung vom Freitag in den Auspuffstopft. Oberstes Gebot für den Fahrer: Ruhe bewahren. Vorwärts geht eh'nix und aussteigen käme selbstmörderischen Absichten gleich.
Indes: Die Insassen unseres Gefährts, einem Mazda 6 Kombi neuesterGeneration, sind nicht die einzigen, die leiden. Dem Auto geht es nicht vielbesser und unsere Zusicherung an die Presseabteilung des Herstellers, dassdas Fahrzeug selbstverständlich wieder unbeschadet abgeliefert werden würde,steht plötzlich auf sehr wackligen Füßen. So ein Verbrennungsmotor ist haltnicht dazu geeignet, dass ein Automobil im Zentimeter-Rhythmus den Berghinauf gezwängt wird, sondern ist eher zur kontinuierlichen Vorwärtsbewegungentwickelt worden. Als wir dann doch dem Irrsinn unbeschadet – abgesehen vonein wenig Schwarzwälder Schlamm und Matsch an der Karosserie – entkommensind, fahren wir oben rechts ran und atmen erst mal durch. Fenster öffnenist angesagt und – siehe da – eine seltsamer Geruch macht sich bemerkbar.Die Bremsen können es wohl nicht sein, bis einer der Kollegen auf diegrandiose Erkenntnis kommt: Ich glaub, die Kupplung stinkt. Wirklichbestätigen können hätte uns diese Vermutung in diesem Augenblick wohl einerfahrener KÜS-Ingenieur, der aber hatte in diesem Augenblick am Wochenendesicher was Besseres zu tun. Und in mir reift wieder einmal die Erkenntnis:Hättest damals nach dem Abi ja auch was Anständiges lernen können …
Text: Jürgen C. Braun