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Thomas Quasthoff: Die Stimme. Autobiographie. Ullstein Verlag; 24 Euro

Gerade wurde er wieder für einen Grammy nominiert, und generell scheint es, als sammle er begehrte Auszeichnungen wie manch anderer Briefmarken. Indes – er sammelt die Auszeichnungen nicht wirklich, vielmehr fliegen sie ihm gewissermaßen zu. Doch Bariton Thomas Quasthoff sieht dies, wie vieles andere, absolut uneitel. Stattdessen versteht er den Beruf des Sängers absolut als Berufung, die ihm auch nach vielen Jahren noch unverändert Freude bereitet. Wenn es da eine Form von Routine gibt, dann höchstens insofern, als er mit eiserner Disziplin konsequent an seiner Stimme arbeitet. Hätte indes jener Professor, der ihn als ganz kleinen Jungen aus der Kinderklinik entließ, Recht behalten, dann würde der 45-Jährige heute noch nicht einmal laufen können. Und hätte er die fadenscheinig-bornierte Ablehnung seiner Bewerbung an einer Musikhochschule einfach hingenommen, würde er heute irgendeinen Beruf ausüben, doch keiner Berufung nachgehen. Es ist alles ganz anders gekommen, und davon erzählt Thomas Quasthoff in seiner Autobiographie Die Stimme.

Der Künstler, von dem vor kurzem eine CD mit Bach-Kantaten erschien (Deutsche Grammophon Gesellschaft), gehört zu den Opfern des Schlafmittels Contergan – zu den Opfern jenes Medikaments also, das bis in die frühen Sechziger Jahre hinein als nebenwirkungsfrei angepriesen und daher gerne auch schwangeren Frauen verordnet wurde – wobei der Wirkstoff dann in zahlreichen Fällen schwere Schäden beim Ungeborenen anrichtete.

Quasthoffs Eltern haben die Erziehung des Sohnes konsequent selbst in die Hand genommen, sich weder von pessimistischen Mediziner-Prognosen beirren noch von dummem Gerede beeindrucken lassen. Im Gegenteil: Eine Freundin von Quasthoffs Mutter darf sich nach einer dummen Bemerkung über den Jungen als ehemalige Freundin fühlen, Punkt. Und ein älterer Nachbarsjunge bezahlt eine solche dumme Bemerkung einmal mit zwei Schneidezähnen. Die schlägt ihm Thomas' älterer Bruder, der die Szene mitbekommen hat, kurzerhand aus. Bis heute sind die Brüder auch gute Freunde und ist Thomas Quasthoff ein selbstbewusster Mann mit Freude am Leben, der an den Widrigkeiten, die ihm dieses Leben geboten hat, nicht verzweifelt ist.

Das freilich war kein einfacher Weg, und diese Autobiographie beschreibt ihn, ohne irgendetwas zu beschönigen. Zugleich ist die Autobiographie ein Gesellschaftsporträt des Wirtschaftswunderdeutschland, das auch die sehr ernsten Seiten mit umwerfendem (aber nie unangebrachtem!) Witz beschreibt und mit messerscharfer Beobachtung mit grandiosen Analysen verbindet. Und wie nebenbei erfährt man beim Lesen einiges über das Funktionieren der menschlichen Stimme, die notwendige Disziplin bei der täglichen Arbeit an der Stimme. Genau dies vermittelt Quasthoff, der nicht nur Sänger ist, sondern auch eine Professur für Gesang innehat, auch seinen Schülern: Die Kunst ist eben nichts, was per Inspiration und etwas Glück nur in den Schoß eines Begnadeteten fällt.Bücher wie diese Autobiographie sind rar: Die Stimme informiert, ohne im Geringsten belehrend zu wirken. Umwerfend komische und sehr ernste Szenen liegen eng beieinander, und Thomas Quasthoff wird jeder gerecht. Eigentlich war er zunächst gar nicht geneigt, den (Verlags)wunsch nach diesem Buch zu erfüllen, ist dem Vorwort zu entnehmen. Bloß gut, dass Michael Quasthoff seinen Bruder vom Gegenteil überzeugen konnte!

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