Zwischen Zweitaktern und Eselskarren

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Handball-Europameisterschaft am Rande der Karpaten oder: Prüfingenieurs AlbtraumTisztelt Vendegünk – Herzlich willkommen – Das aus rohen Planken gezimmerte Schild am Ortseingang von Gyula macht schon einen leicht verwitterten Eindruck. Gyula: 6.000 Einwohner, äußerster südöstlichster Zipfel Ungarns, noch fünf Kilometer bis zur rumänischen Grenze. Bucuresti 153 Km steht neben dem freundlichen Willkommensgruß zu lesen. Die 140 Kilometer vom Flughafen Budapest haben wir auf der M 44 in knapp drei Stunden zurück gelegt. Der ADAC hatte uns eine gut ausgebaute nationale Verbindungsstraße prophezeit. Der für diese Auskunft verantwortliche Verfasser war offensichtlich schon länger nicht mehr hier gewesen. Spätestens ab 16 Uhr ist es um diese Jahreszeit hier bei wolkenverhangenem Himmel stockdunkel. Das Problem auf dem Weg Richtung Karpaten ist nicht die holprige Straße mit den vielen tiefen Fahrbahnrillen, es sind nicht die unzähligen rumänischen und ungarischen Lkw, die zum Teil sogar beleuchtet sind, sofern man dies durch die verschmutzten Scheinwerfer erkennen kann, es sind auch nicht die immer wieder den Weg kreuzenden quietschenden Eselskarren. Nein, es ist alles zusammen: Am äußersten Rand der EU machen wir uns über Gyula auf den Weg nach Bekescsaba. Unser Ziel ist die 60.000 Einwohner große Stadt, in der die deutsche Handball-Nationalmannschaft der Frauen ihre Vorrundenspiele bei der Europameisterschaft in Ungarn austrägt.

Unser Nissan Terrano, mit dem wir uns vorsorglich gegen alle Unbilden des Winters hierzulande gewappnet glauben, findet unterwegs illustre Weggefährten, denen eines gemeinsam ist: sie sind alle irgendwo unter dem Schmutz des Jahres 2004 (oder länger?) kaum noch zu verifizieren. Ein untrügliches Geknatter überzeugt uns davon, dass Südost-Europa noch immer von den Zweitakter-Errungenschaften aus Zwickau längst vergessen geglaubter Zeiten profitiert. Dazwischen abenteuerlich anmutende Yugos aus der Blütezeit des Holzvergasertums und hier und da ein röhrender IIer Golf GTI, von dessen zwei Doppelendrohr-Auspüffen zumindest einer noch den Hauch von Bodenfreiheit genießt. Ein KÜS-Stempel auf diesen Derivaten exorbitanter Automobilkunst ist genau so wahrscheinlich wie die Tatsache, dass ihre Besitzer sich gerade mit den neuesten Lagerfeld-Kreationen eingedeckt haben. Den Versuch, das Losheimer Logo zu entdecken, haben wir jedenfalls erst gar nicht angestellt.

In der Stadt selbst ein buntes akustisches Gemisch aus vierrädrigen Japanern, Koreanern, Wolfsburgern, Rüsselsheimern, das Konzert fein unterlegt mit der unverkennbaren Kraft der zwei Kerzen aus Trabi-Land. Im Hotel, dessen Parkplatz uns zumindest relativ sicher erscheint, lässt sichs preisgünstigtauschen: 10.000 Forinth für 40 Euro. Man muss sich hier halt überall an neue (Größen)ordnungen gewöhnen. Diese liebliche Ecke Europas, die ein wenig an Karl Mays Durch die Schluchten des Balkans erinnert, soll unser zu Hause werden für die nächsten zehn Tage bis zum EM-Finale. Dann wieder in Budapest. Nach dem Einchchecken im Hotel ein erster Druck auf den Bedienungsknopf des Fernsehers mit seinen vier Sendern, die auf dem etwa 30 mal 40 Zentimeter großen Bildschirm zu empfangen sind. Es läuft – o Wunder – eine Autosendung. So was Ähnliches wie die DSF-Sendung motorvision. Es ist diejenige sprachliche Variante, die ich mir immer schon gewünscht hatte, und die deswegen unheimlich spannend für mich ist: Ungarisch mit rumänischen Untertiteln. Tisztelt Vendegünk -Herzlich willkommen.

(wird fortgesetzt)

Text: Jürgen C. Braun
Foto: Andreas Walz

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