Rüdiger Warnstädt: Herr Richter, was spricht er? Verlag Das Neue Berlin; 14,90 Euro
Wer braucht eigentlich Gerichtsshows, wenn die reale Juristerei so unterhaltsam sein kann? Fast könnte man diese Frage zwischen den Zeilen dieser Neuerscheinung lesen, gestellt vom Verlag Das Neue Berlin. Und man könnte sie beantworten mit Recht so. Unter diesem Titel hatte der Verlag vor einiger Zeit eine gute Portion originaler Strafurteile des originalen Strafrichters Rüdiger Warnstädt veröffentlicht, der auch noch ein echtes Original ist. Diesem Bestseller lässt der ehemalige Richter nun ein zweites Buch folgen, das dem Erfolg des Erstlings alle Ehre machen dürfte.
Ja, sitzen denn in der Buchhaltung dieses Verlags nur Hasardeure? Erst Strafurteile, nun ein Rückblick auf den Alltag eines Richters? Es waren nicht Hasardeure, sondern ein Lektorat mit sehr viel Sachverstand. Denn Warnstädt ist nicht irgendein Jurist, sondern war Garant für volle Säle, hatte über lange Jahre eine treue Fangemeinde und bekam bei seinem Abschied aus dem Berufsleben eine überaus wohlwollende Presse. Unter seinen Fans sollen bis heute auch Personen sein, die er einmal verknackt hat.
Wie soll denn das, bitteschön, funktionieren? Eigentlich ganz einfach: Warnstädt hat sich nie von der Trockenheit seines Fachs beeindrucken lassen, sondern das juristische Regelwerk stets als das verstanden, was es ist – oder wenigstens sein sollte: Das Handwerkszeug, mit dem der Rechtskundige das Miteinander der Menschen ge-recht gestaltet.
Rüdiger Warnstädts Kunden – das waren in seinem Berliner Amtsgericht in aller Regel die sogenannten Kleinkriminellen. Zum Beispiel die wasserstoffblonde Dame, die zwar keine Taille hatte, aber taillierte Kleidung trug und in diesem Aufzug beim Richter vorsprach. Immerhin hatte sie ihrer Tochter ein Alibi gegeben, bloß eben ein falsches. Oder eine notorisch straffällig bleibende Frau, die – um einem Urteil zu entgegehen – sich sogar mit aufwendig konstruiertem Gehwagen und dem passenden leidenden Gesichtsausdruck vor dem Richter aufbaute. Warnstädt scheute sich nicht, die Dinge direkt anzusrpechen und nannte sie eine unzufriedene Simulantin.woraufhin die vermeintlich schwerkranke Frau ihre Gehhilfe in die Ecke schleuderte und – wundersam genesen – aufrechten Ganges den Saal verließ.
In aller Regel übrigens konnte er seine Delinquenten zur Einsicht bringen. Mit den lieben Kollegen hatte er dem Anschein nach mehr Not. Da war zum Beispiel jene Tomate, die ein Kunde direkt im Laden aufaß. Was in Ordnung gewesen wäre, hätte er sie zuvor bezahlt. Dem Ladendetektiv fiel das auf, er erstattete Anzeige, und bis die Sache zu Warnstädt kam, war aus der Frucht für 50 deutsche Pfennige ein Luxusartikel geworden, der mit allen Verwaltungskosten usw. nicht weniger als 75 DM kostete. Inzwischen hatte auch die Berliner Lokalpresse in der Posse dankbare Schlagzeilen entdeckt – und der Richter konnte schließlich die Tomate wieder auf normales Tomaten-Format zurechtstutzen.
Von der lieben Not mit den Delinquenten handelt dieses Buch ebenso wie vom (Irr)sinn des Paragraphendschungels. Nicht minder unterhaltsam gestaltet der seit kurzem im Ruhestand befindliche Jurist seine Schilderungen des eigenen Weges in die Juristerei und seine spätere Handhabung der Ausbildung von Referendaren. Dass dieser überaus praktisch denkende und bescheiden gebliebene Mensch manch verstaubtem Fachkollegen ein Dorn im Auge blieb – wen wundert's?
Moment mal – blieb? Bis heute ist Warnstädt ein gefragter Mann für Lesungen. Das erste Buch, so bekennt er freimütig, hat ihm die vielfach gefürchtete Leere nach Erreichen des Rentenalters erspart. Mit Ruhestand dürfte es auch so bald noch nichts werden. Dafür sorgt vermutlich dieses Buch.