Der Standstreifen auf der Autobahn ist für Autofahrer – außer in Notfällen – tabu. Er darf auch nicht als verlängerte Beschleunigungsspur benutzt werden, entschied das Landgericht Gießen in einem Urteil, das die Verkehrsrechts-Anwälte (Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein – DAV) veröffentlicht haben.
Im zu Grunde liegenden Fall war ein Pkw-Fahrer über die Beschleunigungsspur der Auffahrt hinaus über den Standstreifen gefahren und hatte, bevor er in den fließenden Verkehr einfädeln konnte, dort ein Streckenkontrollfahrzeug gerammt. Dieses hatte alle Warnleuchten eingeschaltet und rollte zurück, weil der Fahrer herumliegende Reifenteile bemerkt hatte und diese einsammeln wollte.
Das Gericht bürdete dem Pkw-Fahrer das alleinige Verschulden an der Kollision auf. Der Standstreifen zähle nicht zur Fahrbahn und sei für einen nicht bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer gesperrt bzw. nur für das Halten in Notfällen bestimmt. Wer es nicht schaffe, auf der regulären Beschleunigungsspur in den fließenden Verkehr einzufädeln, müsse stehen bleiben und warten, bis sich eine genügend große Lücke biete. Die Richter warfen dem Betroffenen vor, die Standspur in äußerst leichtsinniger und unaufmerksamer Weise, zumal das Streckenfahrzeug mit seinen zahlreichen Blinklichtern unübersehbar gewesen sei, benutzt zu haben. Das Verhalten des Mannes sei als extrem sorgfaltswidrig einzustufen. Sein Mitverschulden sei so überwiegend, dass ein etwaiges Verschulden des anderen Fahrers außer Betracht bleibe.
Die Verkehrsrechts-Anwälte weisen noch darauf hin, dass eine Benutzung des Standstreifens – außer in Notfällen – auch nach polizeilicher Weisung sowie zur Bildung einer Gasse für die Polizei- und Rettungsfahrzeuge zulässig ist. Alle anderen Konstellationen (z. B. ohne polizeiliche Weisung aus einem Stau heraus über die Standspur zur nächsten Ausfahrt) sind verboten.
Landgericht Gießen
Urteil vom 4. Juni 2003
Aktenzeichen: 1 S 38/03
© Verkehrsrechts-Anwälte im Deutschen Anwaltverein