
Frau Hönes, sowohl in Ihrem Beruf als auch in Ihrer Freizeit steht das Treffen von Entscheidungen im Mittelpunkt. Was macht für Sie den Reiz daran aus, Entscheidungen zu treffen?
Es macht mir einfach Spaß. Ich mag Regeln und ich setze diese gerne durch (lacht). Ich mag meinen Beruf total gerne; es ist nicht nur Beruf, sondern eine Berufung. Beim Pfeifen ist es genauso. Manchmal glaube ich, dass ich sogar lieber Schiedsrichterin bin als früher Spielerin. Handball ist der tollste Sport der Welt und das Pfeifen macht mir unfassbar viel Spaß.
Und dann ist die Schiedsrichterei natürlich eigentlich das perfekte Hobby für eine Richterin …
Es ergänzt sich schon ganz gut, das stimmt (schmunzelt). Entscheidungen zu treffen und ein Regelwerk anzuwenden, ist in beiden Bereichen gefragt. Ich wollte schon in der Schule Richterin oder Staatsanwältin werden, ich fand Regeln damals schon gut. Es vereinfacht das Leben, wenn man sich an Regeln hält. Als während des Jura-Studiums dann klar wurde, dass ich als Spielerin nicht weitermachen kann, habe ich begonnen, zu pfeifen. Und die Entscheidungen werden in beiden Bereichen durch Zuschauer „kontrolliert“ – auch, wenn im Gerichtssaal nicht so viele Zuschauer wie in der Halle sind (lacht).
Wo haben Sie das Entscheidungen treffen eher gelernt?
Als Schiedsrichterin. Dort ist man deutlich mehr unter Druck, weil man schneller die Entscheidungen treffen muss, durch die Zuschauer hat man auch viel mehr Augen auf der Situation. Als Schiedsrichterin muss man lernen, diesen Druck auszuhalten, die Entscheidung dennoch zu treffen und dann dazu zu stehen. Dass ich das Woche für Woche auf dem Feld mache, hilft mir im Gerichtssaal, weil ich ruhiger bin. Ich weiß nämlich, dass ich Entscheidungen treffen kann – auch, wenn manche diese vielleicht nicht gut finden.
Auch Schiedsrichter:innen erleben immer wieder den direkten Unmut über ihre Entscheidungen, ob von Mannschaften oder Fans. Warum ist es so wichtig, dass sich dennoch jemand bereit erklärt, dieses Amt zu übernehmen und zu pfeifen?

Weil es unseren Sport sonst nicht gebe. Ohne uns Schiedsrichter könnte niemand am Wochenende auch nur ein Spiel machen. Handball ist zwar ein fairer Sport, aber ohne Schiedsrichter geht es nicht, denn die Regeln werden ausgetestet. Daher braucht es einen Schiedsrichter.
Genauso, wie es Richter für die Gesellschaft braucht…
Genau, sonst sähe unser Zusammenleben deutlich anders aus. Es ist wichtig und richtig, dass es Menschen gibt, die bereit sind, Entscheidungen zu treffen und auf die Einhaltung der Regeln zu achten.
Inwiefern ist die Richterrobe oder das Schiedsrichtertrikot eine Rolle, in die Sie schlüpfen?
Ich bleibe ich – egal, was ich anhabe – und ich könnte Entscheidungen auch ohne Robe oder Trikot treffen. Es hilft mir jedoch, mir noch einmal der Verantwortung bewusst zu werden, die ich in dem Moment trage. Ich weiß: Jetzt kommt es auf mich an. Ich ziehe die Robe an und entscheide über die Zukunft desjenigen, der vor mir sitzt, in dem ich eine Sanktion ausspreche. Und im Schiedsrichtertrikot habe ich die Verantwortung dafür, dass das Spiel funktioniert.
Über junge Schiedsrichter wird oft gesagt, dass sie erst einmal lernen müssen, Entscheidungen zu treffen. Inwiefern trifft das aus Ihrer Erfahrung zu?
Das ist durchaus richtig. Niemand stellt sich auf den Platz und weiß sofort, was er macht. Auf der Tribüne eine Entscheidung zu fordern oder diese Entscheidung konkret treffen müssen, ist nicht vergleichbar. Ein Schiedsrichter muss sofort da sein, sofort entscheiden und vorgeben, wie es weitergeht. Daran muss sich jeder gewöhnen, das ist eine Persönlichkeitsentwicklung.
Und wie war das bei Ihnen beruflich?
Ich war erst zwei Jahre Staatsanwältin, bevor ich gewechselt bin und Richterin wurde. Das ist in Baden-Württemberg üblich, man lernt nach der Einstellung in den Justizdienst beide Seiten kennen. Durch diese Erfahrung war ich ruhiger, weil ich schon wusste, wie eine Sitzung abläuft.
Wie ist es im privaten Umfeld – fällt es Ihnen dort ebenfalls leicht, Entscheidungen zu treffen?
Ja, das würde ich schon sagen (lacht). Es sind natürlich andere Entscheidungen, aber lange nachdenken muss ich auch dort nicht. Ich glaube, es ist eine Typ-Sache, ob man Entscheidungen treffen kann oder nicht. Es ist daher auch nicht jeder der Typ, um Richter oder Schiedsrichter zu sein, das muss man ganz klar sagen. Man muss Entscheidungen treffen wollen und können.
Fällt es Ihnen überhaupt noch schwer, Entscheidungen zu treffen?
Als Schiedsrichter treffen wir so viele Entscheidungen in einem Spiel und es muss so schnell gehen, dass ich in dem Moment gar nicht nachdenken kann, ob mir eine Entscheidung leicht oder schwer fällt. Ich muss ja erst einmal entscheiden – und danach kann ich diese Entscheidung ohnehin nicht mehr ändern. Als Richterin habe ich in einem Verfahren für eine Entscheidung mehr Zeit, aber wenn ich mir eine Überzeugung gebildet habe, ist die Entscheidung an sich auch nicht mehr schwierig.
Gibt es überhaupt die eine, richtige Entscheidung?
Eine Entscheidung ist eine Wahrnehmungsfrage. Wo stehe ich und wie sehe ich die Situation. Auf dem Feld halte ich den Siebenmeter für richtig, doch in der Videoanalyse sehe ich das vielleicht anders. Bei einer kniffligen Szene haben fünf Schiedsrichter wahrscheinlich sechs verschiedene Meinungen (schmunzelt). Über Auslegungshilfen wird versucht, dass wir die Regeln möglichst einheitlich umsetzen. Das gibt es am Gericht nicht.
Das bedeutet?
Als Richter sind wir in der Situation selbst nie dabei. Wir hören uns die Staatsanwaltschaft an, die Zeugen, die Angeklagten und treffen basierend auf dem, was wir gehört haben, die Entscheidung. Im Idealfall kämen alle Richter in der gleichen Sache zu einem Schuldspruch, aber selbst dann wäre die Konsequenz nicht dieselbe. Für das Strafmaß spielen viele Faktoren eine Rolle und diese Breite können und sollen wir ausschöpfen. Jeder Richter trifft die Entscheidung in seiner eigenen Unabhängigkeit. Es gehört aber auch zu meinem Alltag als Amtsrichterin, dass die eigenen Entscheidungen nach einem Rechtsmittel von anderen Richtern überprüft werden können.
Beruflich scheinen Sie ja aktuell dort angekommen zu sein, wo Sie hinwollten (Bärbel Hönes nickt). Wie sieht es als Schiedsrichterin aus?
Der Aufstieg in die 3. Liga war ein großes Ziel, ich wollte für den Deutschen Handballbund pfeifen. Es macht uns einen riesigen Spaß und unser erstes Spiel in der 3. Liga Männer in dieser Saison war sogar das bislang beste Spiel, das wir je hatten. Die Halle war voll, die Mannschaften waren nett und wir hatten einen guten Tag. Es war einfach rundum gelungen – das war so ein Tag, an dem weiß, warum man das macht und wir so einen Bock drauf haben.
Und wo soll es hingehen?
Es ist immer die Frage, welche Schritte noch möglich sind und was in das Leben passt. Wir können sicherlich noch besser werden und haben noch Potenziale. Das ist aber auch nicht verwunderlich, weil wir ja gerade einmal ein Jahr zusammen pfeifen. Wir wollen uns jetzt weiterentwickeln und uns in der 3. Liga etablieren. Wir wollen stabile Leistungen bringen und ein gutes Gespann sein, auf das man sich freut, weil man sich auf uns verlassen kann.

Zum Abschluss: Welchen Ratschlag würden Sie jemanden geben, dem es schwer fällt, Entscheidungen zu treffen?
Einfach machen! Unser Schiedsrichterwart hat auf dem Halbzeitlehrgang gesagt: Pfeifen lernt man durch das Pfeifen – und im Prinzip ist das auch beim Treffen von Entscheidungen so. Ich muss mich daran gewöhnen, Entscheidungen zu treffen, sodass ich weiß, was abläuft und wie ich mich durchringen kann. Wenn ich mich immer vor Entscheidungen drücke, wird das auch nichts – und dann laufen immer mehr Entscheidungen auf. Wenn man einfach macht, kommt man rein. Natürlich trifft man auch falsche Entscheidungen, aber dann ist es eben so – dann muss man trotzdem dazu stehen. Meine Entscheidungen auf dem Feld und am Gericht sind auch nicht alle richtig, aber in dem Moment war es meine Entscheidung, weil ich davon überzeugt war.
Zur Person
Bärbel Hönes (34) ist seit 2020 Richterin an einem Amtsgericht und setzt sich mit dem Strafrecht auseinander. Parallel zu ihrem Studium begann sie 2013 mit dem Pfeifen. Mit ihrer jetzigen Teampartnerin Katarzyna Feldmann pfeift sie seit Anfang 2024 zusammen. Direkt in ihrer ersten gemeinsamen Saison in der Regionalliga gelang im Sommer der Aufstieg in die 3. Liga.
Fotocredit: Sven Frank, privat