Als Mirko Krag die ersten Schritte seiner Schiedsrichterkarriere absolvierte, war die mit der Aufgabe verbundene Verantwortung noch (zu) abstrakt. Als 16-Jähriger tingelte der frisch gebackene Referee unbedarft durch die Hallen in und um Frankfurt und besserte sein Taschengeld mit dem Pfeifen auf statt weiter Zeitungen auszutragen. Es machte schlicht und einfach Spaß.
Mit den schrittweisen Aufstiegen von Kader zu Kader stieg jedoch der Druck – und damit auch die Verantwortung. „Das Vertrauen, dass wir mit jedem Aufstieg und jedem größeren Spiel bekommen habe, hat zugleich eine größere Bürde bedeutet“, sagte Krag im Frühjahr im Magazin Bock auf Handball. „Da ist das Verständnis dafür gewachsen, welche Verantwortung ein Schiedsrichter eigentlich trägt.“
Anders als bei der Ausbildung zum Polizisten („Du lernst früh, welche gesamtgesellschaftliche Verantwortung du trägst.“) sei ihm die Verantwortung „beim Pfeifen erst nach und nach bewusst geworden“, wie er es formulierte. Diese Aussage hat auch heute noch Bestand: „Natürlich hast du als junger Schiedsrichter die gleiche Verantwortung für ein Spiel wie deine älteren Kollegen, doch als Jugendlicher machst du dir darüber keine Gedanken“, betont er.
20 Jahre später sieht das anders aus. Inzwischen kann Krag die mit dem Pfeifen verbundene Verantwortung benennen. Er und seine Kollegen hätten „eine Verantwortung gegenüber dem Spiel“, nennt er und setzt die Aufzählung fort, es geht Schlag auf Schlag: Man habe als Schiedsrichter eine Verantwortung gegenüber dem eigenen Gespannpartner. Eine Verantwortung gegenüber seinem Verband. Eine Verantwortung gegenüber den Kolleginnen und Kollegen. Und, natürlich, auch gegenüber den Spielern, den Trainern und den Zuschauern. Es ist – zusammengefasst – eine Verantwortung gegenüber der Sportart und all ihren Stakeholdern.
„Als Schiedsrichter sind wir dafür zuständig“, sagt Krag, „dass ein Handballspiel geordnet und nach den Regeln abläuft. Das ist elementar für den Sport und natürlich eine große Verantwortung.“ Ob ein Unparteiischer wie er und sein Partner in der Bundesliga auf dem Feld stehen oder in der Kreisklasse pfeifen, sei dabei nicht entscheidend: „Jede Mannschaft verdient die bestmögliche Spielleitung und dafür sind wir verantwortlich.“ Dass im Profibereich Arbeitsplätze am Abschneiden der Vereine hängen kann, ist nur ein zusätzlicher Aspekt.
Die Verantwortung für einen ordentlichen Spielablauf schwingt in erster Linie unterbewusst mit; auf dem Feld bleibt keine Zeit für philosophische Gedanken. Praktisch zeigt sich die Verantwortung jedoch in vielen kleinen Dingen: Dem pünktlichen Anpfiff, beispielsweise, „auch das fällt in unseren Verantwortungsbereich, dass beide Mannschaften rechtzeitig auf dem Feld und bereit sind.“
Doch ein Schiedsrichter steht nicht nur Spielern, Trainern und Zuschauern gegenüber in der Pflicht, sondern hat auch eine große Verantwortung gegenüber dem eigenen Gespannpartner. „Wir sind ein Team; was ich entscheide, betrifft auch meinen Partner“, sagt Krag. „Ich trage Verantwortung für Marcus, er trägt Verantwortung für mich. Wir dürfen uns nicht im Stich lassen, weder auf noch neben dem Feld.“
Auch gegenüber den pfeifenden Kollegen und dem Verband sieht der Elitekader-Schiedsrichter eine Verantwortung. „Als Schiedsrichter präsentierst du bei jeder Ansetzung deinen Bezirk, deinen Landesverband oder eben den Deutschen Handballbund“, führt Krag aus. „Wie wir uns geben, wie wir uns verhalten fällt auf den Verband zurück. Und benehmen wir uns daneben, fällt das natürlich auf die Kollegen zurück, die sich vielleicht für uns erklären müssen.“
Und – last, but not least – als Schiedsrichter im Spitzenbereich sind Hurst/Krag und ihre Kollegen natürlich Vorbilder für den Nachwuchs an der Basis – auch das eine Verantwortung, der sie gerecht werden wollen. Wird das nicht manchmal zu viel? Krag schüttelt den Kopf. „Druck und Verantwortung sind natürlich eng miteinander verknüpft und natürlich wollen wir im Sinne unserer Verantwortung für das Spiel auf dem Feld unsere Bestleistung zeigen, aber du darfst dich davon nicht erdrücken lassen“, sagt Krag und ergänzt: „Als Schiedsrichter bist du bereit, Verantwortung zu übernehmen. Wenn du das nicht bist, wirst du nicht pfeifen.“
Zudem laufe vieles ja unterbewusst ab – ordentlich gekleidet zum Spiel zu kommen, ist eine Selbstverständlichkeit; ohne, dass sich Hurst/Krag jedes Mal die mit ihrer Rolle verbundene Verantwortung ins Gedächtnis rufen müssen. Sie sehen vielmehr den positiven Aspekt. „Es ist eine große Ehre, dass uns zugetraut wird, diese Verantwortung für das Spiel zu übernehmen, denn jede Ansetzung bedeutet: Wir vertrauen euch, dass alles in richtigen Bahnen abläuft“, erklärt Krag. „Das bringt natürlich Druck mit sich, aber Verantwortung macht auch Spaß.“
Fotos: Marco Wolf