Hinterher, so heißt es in einer beliebten Redewendung, ist man immer schlauer. Das trifft in gewisser Weise auch auf die Schiedsrichterkarriere von Rick Herrmann und seinem Gespannpartner Fabian Friedel zu. So erwies sich ihr rasanter Aufstieg als junges Schiedsrichterteam bis in die 2. Bundesliga vor zwei Jahren als Stolperfalle und der folgende Abstieg in die 3. Liga war hingegen aus heutiger Sicht eher ein Fortschritt statt der vermeintliche offensichtliche Rückschritt.
„Dieses eine Jahr in der 3. Liga“, betont Herrmann, „hat uns extrem geholfen, gerade in der Persönlichkeitsentwicklung.“ Erst sei der Abstieg natürlich ein Tiefschlag gewesen. „Wir hatten Angst, nicht wieder aufzusteigen und haben auch darüber nachgedacht, aufzuhören“, gibt der 28-Jährige zu. „Aber wir wollten es unbedingt schaffen – und rückblickend war es ein ziemlicher Lerneffekt.“
In der vergangenen Saison pfiff das Duo aus Sachsen folgerichtig seine bislang beste Saison in der 2. Bundesliga und platzierte sich im oberen Ranking des Kaders. „Jetzt ist es unsere Hauptaufgabe, uns kontinuierlich weiterzuentwickeln, um die nächsten möglichen Schritte nach oben anzugehen.“
Es wäre die Krönung für ihre gemeinsame Geschichte, die vor rund zwölf Jahren ihren Anfang nahm. Damals spielte Herrmann zusammen mit Franz Friedel, dem jüngeren Bruder seines heutigen Schiedsrichterpartners Fabian, bei der SG Nickelhütte Aue Handball. Vor ihrem Training trainierte die C-Jugend und suchte für das Abschlussspiel nach Schiedsrichtern. „Ich habe zu Franz gesagt: Wollen wir das nicht einmal probieren?“, erinnert sich Hermann.
Gesagt, getan: Die beiden griffen zur Pfeife, „bis Fabian irgendwann dazwischen gegrätscht ist“, schmunzelt Herrmann. „Er hat zu der Zeit mit seinem Vater gepfiffen, aber gespürt, dass auch ich mehr erreichen will.“ Nachdem Hermann 2011 seinen Schiedsrichterschein absolviert hatte, sammelten beide gemeinsam erste Einsätze im Kinderhandball und pfiffen die vereinseigenen D- und E-Jugend-Mannschaften.
Dabei blieb es jedoch nicht lange: Das junge Schiedsrichterteam schoss im Bezirk förmlich nach oben und wurde schnell in den Nachwuchskader des HV Sachsen berufen. Mit gerade einmal 18 Jahren pfiff Herrmann zusammen mit dem drei Jahre älteren Friedel das Finale im Landespokal der Männer. „Das eigentlich angesetzte Gespann war kurzfristig ausgefallen und hatte sich uns als Nachfolger gewünscht“, beschreibt Herrmann die damalige Situation. Das Spiel ging in die Verlängerung, es war die erste Feuertaufe.
Die nächsten Schritte ließen nicht lange auf sich warten: Ebenfalls als Nachrücker durfte das Duo zum Sichtungsturnier für die 3. Liga nach Biberach reisen und überzeugten dabei mit viel Qualität. „Wir sind unheimlich glücklich nach Hause gefahren, aber hatten auch Angst davor, was auf uns zukommt“, beschreibt Herrmann das damalige Gefühlschaos. Wir haben uns gefragt: „Wie bestehen wir in der 3. Liga? Ich war ja gerade einmal 19 Jahre jung.“
Mit der Erfahrung von einigen wenigen Männerspielen in der heimischen Sachsenliga ging es hoch in die 3. Liga, die Oberliga übersprangen Friedel/Hermann komplett. Und nach nur einem Jahr in der 3. Liga ging es direkt weiter nach oben: Mit dem Aufstieg in den Nachwuchskader des Deutschen Handballbundes winkte die 2. Bundesliga der Männer.
„Dieser große Sprung in so kurzer Zeit“, sagt Herrmann heute, „hat uns damals beinahe das Genick gebrochen.“ Denn nach der maximalen Verweildauer im Nachwuchskader wechselte das Schiedsrichter-Team 2019 in den regulären Bundesligakader, doch nach zwei von Corona überschatteten Spielzeiten folgte 2021 der Abstieg in die 3. Liga.
„Uns wurde sehr deutlich gesagt, dass der Riesensprung damals auf Kosten unserer Erfahrung ging“, sagt Herrmann. „Wenn man schon vier Jahre in der 2. Bundesliga gepfiffen hat, will man das nicht sofort wahrhaben, aber es war schon etwas Wahres dran. Im Rückblick haben wir aus der 3. Liga viel mitnehmen können.“
Er selbst habe beispielsweise zu einem neuen Auftreten gefunden. „Ich habe früher als gefühlter ‚Richter‘ auf dem Feld agiert und wollte unbedingt festlegen, wie alles gemacht wird“, beschreibt der in Schlema geborene Herrmann. „Mittlerweile habe ich das heruntergefahren und muss nicht immer meinen Dicknischel durchsetzen.“ Dicknischel: So nennt man einen Dickkopf in seiner erzgebirgischen Heimat. Im Sommer 2022 wurde die Entwicklung mit der Rückkehr in den Bundesligakader belohnt. „Es war ein cooles Gefühl, wieder zurück zu sein“, freut sich Herrmann.
Die Entscheidung für das Pfeifen das eigene Spielen hintenanzustellen, hat Herrmann daher nie bereut. „Ich habe mich damals gefragt: Willst du als Spieler bis in die 4. Liga kommen oder als Schiedsrichter mit den Profis auf der Platte stehen?“, erinnert er sich. „Damals fiel die Entscheidung schweren Herzens, aber es war definitiv der richtige Weg.“
Seinem Verein ist er dennoch bis heute treu geblieben: Parallel zum Pfeifen spielt Herrmann selbst noch Handball, er trainiert die männliche C-Jugend bei der NSG EHV/Nickelhütte/Buteo und war zuvor drei Jahre lang als Co-Trainer in der A-Jugendbundesliga tätig. Zudem ist er als Schiedsrichter-Coach im Landesverband tätig. „Bei mir dreht sich alles um den Handball. Es ist und bleibt die Nummer 1“, grinst er.
Selbst seine Berufswahl richtete er nach dem Sport aus. Nach dem Abitur wollte Herrmann ursprünglich Forstwirtschaft studieren, doch ein Umzug kam für ihn nicht in Frage. „Wäre ich weggegangen, hätte ich abseits vom Pfeifen komplett den Bezug zu meinem Verein und dem Handball verloren“, erklärt er.
In Aue wusste man seinen damaligen Spieler zu schätzen und bot ihm einen Ausbildungsplatz beim Hauptsponsor an. Bis heute ist der gelernte Industriekaufmann Herrmann der Nickelhütte Aue GmbH treu geblieben, wo er verantwortlich im Bereich der Edelmetallumarbeitung ist. „Ob Transporte organisieren oder Rechnungen schreiben: Ich mache alles, was am Schreibtisch passiert“.
Das Unternehmen unterstützt die Handball-Leidenschaft seines Angestellten aktiv – sowohl das Pfeifen im Bundesligakader als auch das Engagement im Verein. Von seinen 40 Wochenstunden darf er zehn Stunden in den Handball stecken und kümmert sich um organisatorische Angelegenheiten sowie die Schiedsrichterausbildung und -ansetzung.
Dass der EHV Aue als sein Stammverein inzwischen (wieder) in der 2. Bundesliga spielt, führt zu keinem Interessenkonflikt, denn es ist im Deutschen Handballbund ohnehin eine ungeschriebene Regel, dass kein Unparteiischer seinen eigenen Verein pfeifen darf. „Pfeifen ist für mich die Nummer Eins“, betont Hermann. „Alles andere kommt dahinter.“
Dass Herrmann nicht an den Handball denkt, ist dementsprechend selten – und kommt eigentlich nur an einem Ort vor: Im Wald. „Sich in den Wald zu setzen und in die Natur zu starren, ist für mich: Kopf aus“, beschreibt er. „Das sind Momente, in denen ich wirklich abschalten kann.“ Seine Eltern besitzen ebenso wie Herrmann einen Jagdschein.
„Ich bin damit aufgewachsen, meine Eltern haben uns früh mitgenommen“, erinnert sich Herrmann. „Ich bin daher ein absoluter Naturmensch.“ Die Ruhe im Wald und die Befähigung zur Selbstversorgung reizen ihn. „Manche Menschen bezeichnen jeden Jäger als Mörder, aber für mich gehört es das dazu, einen Wald zu pflegen, denn zu viele Tiere können den Wald auch kaputt machen.“
Ob bei der Jagd oder beim Pilze sammeln: Herrmann hat Respekt vor der Natur. „Als ich einmal auf dem Jägerstand saß, hat sich ein Uhu genau auf das Dach gesetzt. So etwas ist beeindruckend und dir schießt das Adrenalin durch den ganzen Körper.“ Hallenkind und Waldmensch: Herrmann ist eben beides mit Leidenschaft.
Steckbrief Rick Herrmann
Alter: 28
Beruf: Industriekaufmann
Schiedsrichter seit: 2011
Gespannpartner: Fabian Friedel
Kader: Bundesligakader
Karriere-Highlight: Pokalfinale im HV Sachsen mit 18 Jahren, anschließender „Aufstiegsmarathon“ von Liga 5 in Liga 3, Debüt in der 2. Männer-Bundesliga 2016 vor 3.500 Zuschauern Bietigheim – Dessau, Premiere in der 1. Frauen-Bundesliga beim Weihnachtsspiel 2018 THC – Halle
Fotocredit: Marco Wolf, privat