Dieser auf Rennerfolgen basierende Mythos ist es, den Firmengründer Enzo Ferrari schon mit seinen vor 75 Jahren enthüllten ersten Modellen für Straße und Strecke, dem legendären Ferrari 125 S sowie dem Ferrari 166 M, anstrebte. Rennsporterfahrung besaß Enzo Ferrari damals bereits reichlich, vor allem als Direktor der siegverwöhnten Scuderia Ferrari, die vor dem Zweiten Weltkrieg von Alfa Romeo wie ein Werksteam unterstützt wurde. Nun, in der wilden Ära des Wiederaufbaus, wollte Ferrari Hochleistungsautomobile unter eigenem Namen verkaufen. Racer, mit denen es sich schöner rasen und schneller reisen ließ als mit Maserati, Mercedes oder Aston Martin. Vermessen? Vielleicht. Aber bei Auktionen zeigt sich: Schon die frühesten Ferrari werden gehandelt wie Kunstwerke.
Tatsächlich tragen seit Jahren viele der teuersten Prestige-Fahrzeuge, die versteigert werden, ein Ferrari-Signet. Darunter spektakuläre Rennwagen, aber auch kunstvoll karossierte Gran Turismo aus den Ateliers von Pininfarina, Ghia, Touring und anderen Altmeistern der Alta Moda. Der Ferrari 212 überraschte Anfang der 1950er mit rund 80 nach Kundenwunsch karossierten Fahrgestellen. Traumpreise erzielten bislang allerdings Typen wie ein Ferrari 250 GTO von 1962, der bei einer Auktion 35 Millionen Dollar erzielte. Der Ferrari 335 S von 1957, mit dem die deutsche Rennsportlegende Wolfgang von Trips bei der Mille Miglia antrat, brachte 35,7 Millionen Dollar und ein Ferrari 250 California des französischen Filmstars Alain Delon 18,5 Millionen Dollar. „Solange es Menschen gibt, die sich einen Dali oder Picasso in ihr liebstes Zimmer hängen, wird es auch Männer geben, die einen Ferrari ihr Eigen nennen wollen“, erklärte schon 1972 eine Pressemitteilung zum damals neuen Berlinetta Boxer den künstlerischen Mythos der handgefertigten Autos aus Maranello.
Begehrenswert waren die vorzugsweise roten Renner von Beginn an auch durch die Produktion in kleinen, exklusiven Auflagen, darauf achtete Enzo Ferrari genau. Heute sind es Enzos Erben bzw. die Manager der 2015 an die Börse gebrachten Marke, die nicht nur die streng limitierten Icona-Modelle wie den Monza SP (seit 2018) oder Daytona SP3 (2021) ausschließlich an treue Kunden verteilen. Obwohl also nicht jeder beliebige Reiche oder Promi einen neuen Ferrari ordern kann, lieferte die Manufaktur sogar 2021 während der Corona-Pandemie mit über 11.000 verkauften Fahrzeugen einen Allzeit-Bestwert. Übrigens sind diese Sportwagen längst nicht mehr nur mit V12-Power unterwegs, V8 und Plug-in-Hybride wie der SF90 verraten, dass Ferrari mit der Zeit geht. Deshalb wundert es kaum, wenn zum 75. Jubiläum des Ferrari Automobilbaus der Purosangue als erster SUV im Zeichen des Cavallino Rampante reüssieren soll und wenig später ein Elektro-Renner den Sprint in die Hypercar-Zukunft gewinnen soll. Dazu passt, dass Ferrari seit ein paar Jahren als profitabelster Autobauer weltweit gilt und von Problemen, wie sie Sportwagenmanufakturen á la Aston Martin plagen, verschont blieb.
Das war nicht immer so. Schließlich investierte Enzo Ferrari über Jahrzehnte alles Geld, das er mit dem Verkauf von Straßenautos verdiente, in den Rennsport. „Win on Sunday, sell on Monday“, diese Gleichung ging für den „Ingegniere“, der nie eine Ingenieurs-Ausbildung genossen hat, zuerst in Amerika auf. Seine speziellen „America“-Typen 340, 342, 375 konnten in den 1950er Jahren in Hollywood oder New York zu Preisen verkauft werden, die gerne das Doppelte eines Mercedes 300 SL „Gullwing“ und Jaguar XK sowie das Dreifache eines Porsche 356 betrugen. Auch in den Swinging Sixties lief es für Enzo Ferrari gut: Die stilprägend gezeichneten und technisch hochkarätigen Modelle 330 GT 2+2 („Chinese Eyes“), 400 Superamerica, 500 Superfast, 275 GTB4 sowie 365 GTB/4 (Daytona) trafen die Fans ins Herz. Von der Ferrari 360er Familie wurden rund 17.000 Einheiten verkauft – und die anhaltende Siegesserie auf den Rennpisten trieb die Rivalen fast zur Raserei. Ob Mille Miglia, Targa Florio, Le Mans, Daytona oder Nürburgring, die Scuderia Ferrari schien zeitweilig unbezwingbar. Sogar Piloten, die der „Commendatore“ (diesen Titel verdankt Enzo Ferrari einem Orden) nicht in seine Scuderia holen konnte, zollten seinen Autos Respekt.
So wird der mit Matra und Tyrrell zu drei Formel-1-WM-Titeln stürmende Jackie Stewart in einem Ferrari-Pressecommuniqué von 1972 mit den Worten zitiert: „Bei Ferrari hat die Technik eine Seele – und ich könnte nicht erklären warum.“ Andere, wie Lamborghini und Iso Rivolta begannen allein deshalb mit dem Bau eigener Supersportler, um am Mythos Ferrari zu kratzen. Das automobile Nationaldenkmal Italiens wurde durch die neuen Konkurrenten aber nur noch anziehender. Dies auch als Henry Ford Anfang der 1960er Jahre vergeblich auf eine Übernahme von Ferrari hoffte und sich dann mit dem eigens entwickelten GT40 rächte, der in Le Mans über Ferrari triumphierte. Enzo Ferrari wusste um den Wert der Duelle für sein Lebenswerk. Als er 1969 auf der Suche nach frischem Kapital 50 Prozent seiner Unternehmensanteile an den Fiat Konzern verkaufte, beharrte er deshalb auf seiner Führungsposition in der Scuderia Ferrari.
Es war der richtige Schritt, um die von Sozialneid und Ölkrisen geprägten 1970er und 1980er zu überstehen, die etwa Iso Rivolta und De Tomaso den Untergang bescherten. Stattdessen verführte Ferrari seine Kunden nun mit Typen wie dem kleinen Dino 246 GT mit Mittelmotor, dem ersten Ferrari (400) mit Automatikgetriebe, den kleineren Modellen Mondial und 308 bzw. 328 GTB sowie den neuen Topstars 512 BB, F40 und Testarossa. Dieser Modellfamilie aus Formel-Rennern und vielseitigen Vmax-Boliden wurde nach Enzo Ferraris Tod im Jahr 1988 weitergeführt. Nach einer kurzen Trauerphase um den Commendatore und seine Schöpfungen, war die Ferrari-Familie, wie das Unternehmen seine Klientel liebevoll nennt, bereit für Neues. Und so wurden die Neuheiten des 21. Jahrhundert vom Ferrari Enzo über den Allradler GTC4 Lusso bis zum V8-Duo Roma und Portofino besser nachgefragt als alle Vorgänger, obwohl Ferrari das Siegen in der Formel 1 jahrelang verlernt hatte. Im Jubiläumsjahr aber müssen Motorsport-Emotionen sein, und deshalb dürfen die Tifosi endlich wieder „Il Canto degli Italiani“ singen.