Frank Jöricke: Mein liebestoller Onkel, mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage.
Solibro Verlag; 19,90 Euro.
Autos haben das Leben des Erzählers mit geprägt. Das fing mit einem mimosengelben Mercedes an, den einer aus der im Titel erwähnten Bagage besaß und den er als kleiner Junge bestaunen durfte. Unter der Haube dieselten relativ gemächlich 55 PS. Das war in den späten sechziger Jahren, und die eher geruhsamen Er-Fahrungen mit dem großen Auto stehen in krassem Gegensatz zur Schnelligkeit, mit der Frank Jöricke den Lesern vierzig Jahre, Stück für Stück, um die Ohren haut.
Von 1967 bis 2003 nimmt er sich Jahr für Jahr vor und analysiert so scheibchenweise die Verhältnisse in Deutschland , immer ausgehend von einem familiären Ereignis. Schon das prilblumige Cover weist zu Recht darauf hin, dass der Autor von Kindesbeinen an mit offenen Augen durch die Welt gegangen ist und von der Natur mit einem hervorragenden Gedächtnis ausgestattet wurde: Es hatte in den besagten prilblumigen siebziger Jahren besonders viele Merkwürdigkeiten abzuspeichern. Die Tatsache, dass in puncto Kleidung und Wohnungseinrichtung der farbliche Super-GAU zum Modedikat avancierte, ist noch die geringste dieser Merkwürdigkeiten.
Keine Angst, hier kommt kein staubtrockenes Geschichtswerk. Bei Frank Jöricke sieht die Analysepraxis etwa so aus: 1970 wird an Janis Joplins Todestag der Grundstein für das familiäre Eigenheim gelegt und damit, so sieht es jedenfalls der Erzähler, auch für den Niedergang der Familie. Ähnlichkeiten mit realen Personen, darauf wird auch eingangs deutlich hingewiesen, sind natürlich rein zufälliger und mitnichten beabsichtigter Natur. In nicht immer überschaubar geratenen Sätzen fährt der Erzähler Pointe um Pointe auf und stellt fest: Die Erwachsenen sind nicht halb so seriös, wie sie tun. Zum Beispiel: Mit der (immerhin in Deutschland auch per Gesetz) verankerten Monogamie nimmt man es nur auf dem Papier so ganz genau. Eskapaden freilich scheitern in aller Regel schon daran, dass in einer relativ ländlichen Gegend halt so gut wie gar nichts geheimzuhalten ist. Was die Akteure nicht hindert, genau das doch immer wieder zu versuchen. Die Bagage eben.
Überhaupt, die Bagage – Onkel, Tante, Kusine und Eltern: Sie machen mit, wozu der jeweilige Zeitgeist einlädt, was sie vor Bauchlandungen nicht schützt. Auch für den Erzähler selbst hält das Leben den ein oder anderen Fallstrick bereit, und das macht das Buch so sympathisch: Der da erzählt, lacht über sich selbst mindestens so wie über diejenigen, die er da gnadenlos durch den Kakao zieht.
Im Anhang gibt's die Jahre von 1967 bis 2003 nochmals in einer kurzen Stichwortchronik mit amüsanten Tipps, um sich im Detail weiter zu informieren. Fazit: Ungewöhnliches Konzept, hervorragend umgesetzt, auf jeder Seite mindestens zwei garantierte Lacher. Das macht Spaß.