Die Revolution kam auf leisen Rädern. Als der Automobilpionier Henry Ford im Oktober 1908 sein neuestes Fahrzeug unter dem schlichten Typencode „Model T“ vorstellte, ahnte noch niemand, dass dieser unscheinbare offene Motorwagen die Mobilitätsgeschichte mehr verändern sollte, als es die Verkehrsmittel Flugzeug und Eisenbahn vermocht hatten. Fords zuverlässig über Staubpisten und frühe Schnellstraßen rollende „Tin Lizzy“ (Blech-Liesel) machte das Autofahren so simpel, dass sich erstmals Millionen Amerikaner selbst an die Anlasserkurbeln wagten und der Berufsstand der Chauffeure nur noch für Luxuslimousinen benötigt wurde. Bezahlbar für die breite Bevölkerung wurde das anfangs in Handarbeit gebaute Ford Model T ab 1913 durch die Einbindung des Fließbandes in den Produktionsprozess. Ein standardisiertes Fertigungsverfahren, das später von allen anderen automobilen Volumenherstellern übernommen wurde.
Tatsächlich entwickelte sich Henry Fords Stammwerk Highland Park bei Detroit zu einer Forschungsstätte für fast alle namhaften Autokonstrukteure, denen Ford Anschauungsunterricht gab. Derweil wurde das Model T weitgehend unverändert bis 1927 weltweit mehr als 15 Millionen Mal verkauft. Ein Rekordergebnis, das erst 1972 vom VW Käfer übertroffen wurde. Hierzulande legte die Montage des großvolumigen, amerikanischen Vierzylinders 1925 den Grundstein für Ford Deutschland. Das Model T machte den Traum vom Volksfahrzeug wahr, die Zwänge und Gleichförmigkeit der Fließbandfertigung dagegen galten vielen als Alptraum, thematisiert etwa in Charlie Chaplins Film „Moderne Zeiten“ oder in Aldous Huxleys Roman „Schöne Neue Welt“.
In Huxleys 1932 veröffentlichter Utopie nimmt Henry Ford sogar die Position eines christlichen Gotts ein und das Symbol des Kreuzes wird vielsagend zu einem „T“ transformiert. Während Charlie Chaplin die Entfremdung der Arbeit durch das monotone Fließband anprangerte, verfolgte der selbsterklärte Sozialreformer Henry Ford die Zukunftsvision des „Wohlstands für alle“. Hohe Mindestlöhne und eine Massenproduktion mit guten Arbeitsbedingungen sollten jede Armut eliminieren und es allen Arbeitern ermöglichen, ein eigenes Model T zu kaufen. Wie Ford in seinen Lebenserinnerungen erläuterte, konnte der Preis für die Tin Lizzy dank Fließbandfertigung und durchrationalisierter Produktionskette 1914 um 40 Prozent gesenkt werden.
Waren Autos im Europa der Belle Époque ultrateure Luxusgüter und auch für die meisten Besserverdienenden unerschwinglich, genügten Ford-Fließbandarbeitern gerade einmal 98 Tageslöhne für den Kauf eines Neuwagens vom Typ T. Eines Autos, das sie ohne besondere technische Vorkenntnisse ähnlich leicht wie eine Pferdekutsche lenken konnten! Dank eines Planetengetriebes ließ sich das Zwei-Gang-Getriebe bequem per Pedal schalten und der großvolumige Vierzylinder beeindruckte durch sein sattes Drehmoment. Getriebe und Kardanwelle waren gut geschützt vor Staub und Schlamm der Pisten und die großformatigen Räder bewirkten eine beinahe geländetaugliche Bodenfreiheit von fast 30 Zentimetern.
Auch die Ersatzteilfrage hatte Ford genial gelöst, konnte doch fast jeder Eisenwarenhandel weiterhelfen. Rost war übrigens nie ein ernsthaftes Thema für die Tin Lizzy, denn Ford legte Wert auf hochwertige Metalle. Wen wundert es, dass sogar sozialdemokratische Politiker den weiten Weg in die Neue Welt wagten, um sich im angesagten Wallfahrtsort Dearborn persönlich von den Segnungen dieses klassenlosen „Fordismus“ zu überzeugen, der vorweg nahm, was erst der VW Käfer wiederholte.
In der Alten Welt war Ford übrigens ebenfalls frühzeitig präsent, etwa mit einem 1911 eröffneten Werk im englischen Manchester. Obwohl es sich dort zunächst um eine Montagefertigung ohne Fließband handelte, war das Ford T-Modell bereits bis zu 70 Prozent billiger als die europäische Kleinwagenkonkurrenz. Entsprechend groß war die Sensation als die Tin Lizzy 1912 ihre Premiere im Grand Palais des Pariser Salons zelebrierte. Bis die Blechliesel tatsächlich in nennenswerter Stückzahl in Europa verkauft wurde, sollten jedoch noch die dunklen Jahre des ersten Weltkriegs vergehen. Inzwischen initiierte Ford die Anfänge der europäischen Fließbandproduktion. Citroën, Opel und Fiat begannen in den Jahren zwischen 1919 und 1925 mit der Massenfertigung – wirkten aber wie Zwerge im Vergleich zu dem Giganten aus Detroit, der mit Zahlen jonglierte, die für Europäer utopisch schienen. So lieferte Ford im Jahr 1923 erstmals über zwei Millionen Einheiten des Model T aus und damit das fünfzigfache der gesamten deutschen Pkw-Produktion. Noch dramatischer sah es in allen anderen Ländern aus. Produktionslinien für das erste Fließband-Fahrzeug gab es in 19 Ländern auf fünf Kontinenten und in nicht wenigen Staaten begründete Ford die Automobilfertigung sogar.
Für jeden Kunden gab es das passende Model T, dafür sorgten 13 verschiedenen Standardkarosserien und diverse Nutzfahrzeugvarianten. Vom Tourenwagen über spritzige Roadster, elegante Coupés, exklusive Town Cars oder kuriose Centre Door Sedans mit nur einer zentralen Tür war alles dabei. Nur bei den Farben blieb den Käufern keine Wahl, denn Schwarz war ab 1914 das neue Bunt. Insgesamt nutzte Ford während der Bauzeit des T-Modells 30 Schattierungen von Schwarz, je nach modischem Schick und abhängig von kriegsbedingten Liefereinschränkungen in der Chemieindustrie. Daneben genoss die schwarze Lackfarbe den Ruf einer kurzen Trocknungszeit, wichtig bei den raschen Abläufen der Fließbandproduktion. Trotzdem bevölkerten auch rote, grüne, blaue und gelbe Model T die Straßen und gaben damit einen Hinweis auf ihre Erstzulassung, denn Henry Fords „Black-only“-Politik galt nur von 1914 bis 1925.
Im Jahr 1925 hatte die in Würde gealterte Tin Lizzy den Zenit ihrer Karriere überschritten, tatsächlich war sie die einzige überlebende und immer noch erfolgreiche preiswerte Vorkriegskonstruktion auf dem Weltmarkt. Trotzdem hielt Ford starrsinnig an diesem Veteranen fest und frischte ihn lediglich durch Facelifts auf. Kosmetik, die auch die Blechliesel aus dem ersten deutschen Ford-Werk kennzeichnete. Im August 1925 wurde die Ford Motor Company nach jahrelanger Wartezeit ins Berliner Handelsregister eingetragen und im Folgejahr startete die Montage des Model T im Berliner Westhafen. Allerdings war das Auto, das nach Henry Fords Meinung eigentlich nicht zu verbessern war, doch am Ende seines Lebenszyklus angekommen, wie die jetzt jäh abstürzenden Verkaufszahlen zeigten.
Nach fünfzehn Millionen gebauter Model T ruhte im Jahr 1927 für rund sechs Monate die Produktion in allen Ford-Werken und dann kam der Neuanfang: Der Ford A. Die Genialität der Tin Lizzy zeigt sich aber bis heute, denn immerhin gut zwei Prozent aller gebauten Model T haben überlebt. Zu verdanken ist dies einerseits der simplen Technik – was nicht verbaut ist, kann auch nicht den Dienst versagen – aber auch der Alltagstauglichkeit dieser gutmütigen Motorkutsche, mit der die Menschen vor 110 Jahren überraschend unaufgeregt in moderne Zeiten tuckerten.
Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: Ford