Wenn Michael Schnepf seiner Frau zuruft „I geh’ no kurz ä bissle raus in die Natur!“, dann darf die sich sicher sein: Spazierengehen wird der Gemahl wohl kaum. Nein, der schwingt sich lieber in einen alten Unimog und streift damit durch Wälder und Wiesen – schließlich hat Schnepf seinen Beruf zum Hobby gemacht. Im Büro tüftelt der unüberhörbar beim Daimler schaffende Mitfünfziger als Meister in der Entwicklungswerkstatt an der neuesten Generation des ultimativen Lastesels, in seiner Freizeit ist er der erste Vorsitzende des Unimog-Clubs Gaggenau. Der kümmert sich um die Großväter und Urgroßväter des aktuellen Flaggschiffs U5023. Und da ist inzwischen ein reichhaltiges Erbe zusammengekommen: Seit nunmehr 70 Jahren gibt es die schweren Geländegänger und seit zehn Jahren ist ihnen sogar ein eigenes Museum am Stammsitz gewidmet.
Ihren Lauf nahm die Unimog-Geschichte 1946. Die beiden Ingenieure Albert Friedrich und Heinrich Rößler mussten nach dem Krieg ihre Arbeit bei der Daimler-Benz AG aufgeben. Ihr Konzept eines Nutzfahrzeugs für die Landwirtschaft verfolgten sie aber weiter – ohne auch nur zu ahnen, dass aus dem ersten, fahrbereiten Chassis einmal ein Welterfolg werden sollte. Die Serienproduktion bei der Firma Boehringer in Göppingen begann 1949, und gleich der erste Kunde war restlos überzeugt: Der Bürgermeister von Bürg bei Backnang bestellte mit dem Unimog seine Weinberge und Obstgärten und karrte die Früchte auf den Markt nach Stuttgart. Dort machte er wohl nicht nur für seine Erzeugnisse Werbung, sondern auch für den Unimog, denn nur ein Jahr darauf übernahm Daimler-Benz das Projekt; ab dann wurde im Werk Gaggenau gefertigt. Eine Entscheidung, die der heutige Konzernlenker Dieter Zetsche damals sicher genauso getroffen hätte: Der Vorstands-Vorsitzende ist treuer Unimog-Fan und bekannte einst: „Für mich ist der Mercedes-Benz Unimog weit mehr als ein allradgetriebener Lkw. Er ist der John Wayne unter den Nutzfahrzeugen – frei nach dem Motto: Ich brauch’ keine Straße, ich brauch’ nur einen Auftrag.“
Und recht hat er: Ob er nun Asphalt unter den Rädern hat, oder Felsbrocken von der Größe eines Smarts, ist dem Unimog tatsächlich egal, wie man auf dem eigens für die Schwerlasttransporter angelegten Testgelände in Ötigheim erleben kann. Steigungen von über 100 Prozent, Treppenstufen, die man nicht mal zu Fuß erklimmen möchte, Geröllfelder oder Wasserhindernisse von bis zu 1,20 Meter Tiefe nimmt das neueste Modell im Unimog-Stall mit der Gelassenheit eines Zen-Mönchs und arbeitet sich Stück für Stück voran. Die Technik, die das 6,6 Tonnen schwere Kraftpaket dazu befähigt, ist so einfach wie effektiv: Heckantrieb mit zugeschalteter Vorderachse, zwei Differenzialsperren, fast ein halber Meter Bodenfreiheit und knappe Überhänge, die größtmögliche Rampen- und Böschungswinkel erlauben. Je nach Untergrund, kann der Fahrer außerdem den Luftdruck in den 24-Zoll-Rädern absenken oder anheben – bequem vom Cockpit aus. Überhaupt lässt sich die Welt jenseits der Straße heute recht kommod erobern. Früher aber war das richtig Arbeit und wegen des quasi mittig im Fahrerhaus montierten aber nur mäßig gedämmten Motors auch eine besonders laute und heiße Aufgabe.
Damit der inzwischen nicht mehr in Gaggenau, sondern ein paar Kilometer weiter in Wörth gebaute U5023 sich überhaupt bewegt, arbeitet unter der kurzen Haube ein nicht ganz taufrischer Vierzylinder-Diesel, der sich beim Anlassen heftig schüttelt, aber immerhin die Euro-6-Norm erfüllt. Vier Zylinder, das klingt nicht viel, aber verteilt auf 5,1 Liter Hubraum ergibt das immerhin 170 kW/231 PS und ein enormes Drehmoment von 900 Newtonmetern. Die verwaltet ein Achtgang-Getriebe, das den Unimog – in allen Zahnradpaarungen – sowohl vorwärts wie rückwärts fahren lassen kann und per Untersetzung nochmal so viele Fahrstufen bereitstellt. Hat man die Taste mit dem Esel-Symbol gedrückt, ist die Arbeitsgruppe aktiviert und der Koloss schiebt sich mit nur wenigen km/h über Stock und Stein. Ist das immer noch zu schnell, stehen außerdem eine Kriechgruppe mit acht Gängen bereit: Im Extremfall macht der Unimog dann noch gut 80 Meter (sic!) pro Stunde und der Fahrer kann sich nebenbei bequem einen Kaffee holen.
Solches Schleichen ist freilich im Gelände weniger von Nöten, dafür aber zum Beispiel auf dem Bau. Schließlich feiert der Unimog nicht nur als Komplettfahrzeug große Erfolge, sondern insbesondere auch als Geräteträger. Über 250 Partnerunternehmen halten in Summe rund 3.500 spezielle Aufbauten bereit, mit denen sich der Unimog zum maßgeschneiderten Arbeitstier aufrüsten lässt. In den 50er Jahren waren das vor allem landwirtschaftliche Geräte, die nach dem Krieg dringend benötigt wurden. Inzwischen aber reicht der Einsatz vom Winterdienst-Auto über die Baumaschine und das Wohnmobil für Extrem-Abenteurer bis hin zum Feuerwehr-Wagen.
Der Unimog macht seinem Namen also alle Ehre, steht die Bezeichnung doch für nichts anders als Universal-Motor-Gerät. Das betont auch Schnepf immer wieder, wenn als Vereinsvorsitzender interessierten Museums-Besuchern die Welt des Kraxel-Kolosses erklärt: „Wer einen Unimog kauft, kauft nicht nur einen einfachen Lkw, sondern ein ganzes System“, betont er und ergänzt schmunzelnd und mit breitem Dialekt: „Wer nur ä bissle Ladung rumfahre will, der hat’s net verstande!“ Dass dabei nicht jeder Kunde unbedingt die Hardcore-Geländeausführung braucht, ist klar. Genau deswegen bietet Daimler den Unimog in verschiedenen Schärfegraden an. Wenn es aber hart auf hart kommt, muss die ultimative Ausbaustufe ausrücken und die hat nicht zuletzt bei zahlreichen Hilfseinsätzen in Katastrophengebieten auch schon unzählige Menschenleben gerettet. Dort, wo es eigentlich nicht mehr weitergeht, findet der Unimog eben doch noch einen Weg – seit nun mehr 70 Jahren und mit Sicherheit auch in der Zukunft. Mit der knallgrünen Studie Advanced Design haben die Unimog-Macher schon 2011 gezeigt, wie sie sich ihren Dicken in ein paar Jahren vorstellen können: Mit futuristischem Design, doch die innere Werte bleiben ganz die Alten.
Text: Michael Gebhardt/SP-X
Fotos: Mercedes-Benz/SP-X