Busso, Boano und Bertone, diese drei Namen machten vor 60 Jahren alle italophilen Autofans glücklich, denen ein Ferrari zu teuer, ein Fiat zu profan und ein Lancia zu avantgardistisch war. Fanden die Liebhaber schöner Formen und starker Motoren doch jetzt erstmals bei Alfa Romeo einen rassigen Renner kompakter Klasse, der genau so klangvoll und verführerisch war wie sein Name: Giulietta. Giulietta Sprint genau genommen, denn dieses zeitlos schöne Traumcoupé stand am Karrierebeginn der insgesamt sieben Karosserievarianten umfassenden Modellreihe.
Das Design der Giulietta Sprint wird dem begnadeten Mario Boano zugeschrieben, der Bau des Coupés erfolgte bei Bertone – dem so der Wandel vom Carossiere zur Carrozzeria, also Hersteller, gelang – und das leistungsstarke Vierzylinder-Herzstück konstruierte Giuseppe Busso unter dem Alfa-Chef-Techniker Orazio Satta Puglia. Es war eine 1,3-Liter-Macchina mit allem, was Tifosi betört. Wunderbar schön anzuschauen und doch schlicht, dabei drehfreudig, soundstark und spurtsüchtig. Zwei oben liegende Nockenwellen und die quadratische Auslegung von Hub- und Bohrungsverhältnis zeichneten das kompakte, komplett aus Aluminium gebaute Kraftwerk aus, das in seinen ersten Variante 37 kW/50 PS bis 59 kW/80 PS abgab, in späteren Ausbaustufen sogar bis zu 74 kW/100 PS. Mit dieser Literleistung deklassierte das Triebwerk die gesamte Konkurrenz, tatsächlich stand es sogar für den Einstieg in eine neue Epoche. Womit der Motor perfekt zur Giulietta passte, die zum Urmaß der heutigen GTI-Fraktion avancierte und Alfa Romeo zum Massenhersteller machte. Allein von der 1955 eingeführten viertürigen Giulietta Berlina konnte Alfa in zehn Jahren über 130.000 Einheiten verkaufen, ehe der Nachfolgerin Giulia sogar alles noch besser gelang.
Eine erfolgreiche viertürige Sportlimousine der 1,3-Liter-Klasse, so etwas konnten im ersten Nachkriegsjahrzehnt nur Italiener konstruieren. Alle anderen Länder mussten deutlich größere Dynamiker ins Rennen schicken, wollten sie mit dem Temperament der heißblütigen Giulietta konkurrieren. Gleich ob Borgward Isabella, Volvo PV 444 Sport oder alter englischer Autoadel, der neue kleine Alfa nahm es mit allen auf – als Coupé konnte die Giuletta sogar manchem Porsche oder Jaguar davon fahren. Eine Europäerin, wie sie auch jenseits des Atlantiks geliebt wurde, weshalb der amerikanische Sportwagen-Magnat Max Hoffman sogleich eine Spider-Version der Giulietta anregte. Realisiert wurde der Italo-Roadster diesmal nicht von Bertone, sondern durch dessen Erzrivalen Pininfarina. Verkaufsgenie Max Hoffman wollte mit dem luftig-leichten Cabrio-Kleid sein Sportwagenprogramm um erschwingliches italienisches dolce vita ergänzen.
Erfolgreich, wie die endlos langen Lieferfristen in Kalifornien und New York schnell zeigten. Dabei waren die Alfa Romeo Giulietta in vielen Exportländern alles andere als preiswert. So stand der Spider beim Deutschlandstart mit 15.250 Mark in der Liste, das Sportcoupé Sprint Veloce gar mit 19.150 Mark und selbst die 1,3-Liter-Limousine kostete mit 12.200 Mark so viel ein S-Klasse-Mercedes mit 2,2-Liter-Sechszylinder. Coupé und Spider waren teurer als vergleichbare Porsche und viele V8-Modell der Luxusliga. Während MG seine neuen MGA Roadster für lediglich gut 8.000 Mark anpries, machte die Mailänder Marke ihre kleinen Designerstücke durch extravagante Preise zur Überraschung des Wettbewerbs nur noch begehrenswerter. Jedenfalls fand die Giulietta mit fast allen der insgesamt 30 Varianten Verehrer, die sich unsterblich in sie verliebten und die heute bereit sind, für die seltensten Versionen, wie etwa die Motorsportikone Giulietta Sprint Zagato „Coda Tronca“ aus den frühen 1960er Jahren, 300.000 Euro zu zahlen.
Jede Erfolgsgeschichte hat aber auch eine Vorgeschichte und die ließ es bei der Giulietta nicht an finanzieller Dramatik fehlen. So besaß Alfa Romeo in den frühen Nachkriegsjahren den Nimbus einer sportlichen Nobelmarke, ein Image, das durch den Gewinn der beiden ersten Formel-1-Weltmeisterschaften in den Jahren 1950 und 1951 noch unterstrichen wurde. Doch genügten Pokale und Prestige nicht, um die Kassen des damals noch von Fiat unabhängigen Herstellers zu füllen. Großserien waren nun gefragt und die Liste untergehender traditionsreicher Marken, die die Umstellung auf Massenfertigung und selbsttragende Karosserien nicht schafften, wurde immer länger. Dagegen sollte es bei Alfa Romeo die erste bezahlbare Mittelklassebaureihe mit Sportwagentechnik richten.
Die Geburtsstunde der Giulietta, deren Entwicklungskosten das Alfa-Budget allerdings schnell sprengten. So kam es zu einer frühen Form des Crowd-Funding und einer einzigartig phantasiereichen Finanzierung der neuen Fahrzeugkonstruktion: Alfa Romeo initiierte eine Lotterie, um eine Anwartschaft auf eine der ersten 1.000 Giulietta zu gewinnen und natürlich den Hauptpreis einer neuen Giulietta Berlina. Die Losverkäufe füllten die Kasse, konnten aber zeitliche Verzögerungen bei der Entwicklung der Giulietta Berlina nicht verhindern. Um die Lotterieteilnehmer nicht um den für 1954 ausgelobten Preis zu bringen, gab die Alfa-Führung bei Bertone die Produktion der Coupéversion in Auftrag. Hatte Bertone doch genug Kapazitäten frei und sich gerade durch die von Franco Scaglione entworfenen fledermausartigen Coupés BAT 5, 7 und 9 auf Basis des Alfa 1900 beste Referenzen verschafft. Kein Zufall sind deshalb optische Verwandtschaften der neuen Giulietta Sprint mit diesen BAT- (Berlinetta Aerodinamica Tecnica) Modellen. Allerdings war das Sprint Sportcoupé weit eleganter und wurde deshalb sogar noch über das Ende der Giulietta-Baureihe hinaus gebaut. Im Jahr 1962 startete der Sprint unter dem neuen Namen Giulia sogar in eine zweite Karriere. Auch der Giulietta Spider gelang so im gleichen Jahr eine Fortsetzung ihrer Erfolgsgeschichte.
Der Viertürer wurde während seiner Produktionszeit zweimal aktualisiert und regelmäßig leistungsgesteigert bis sich Julchen 1962 in Julia, also Giulia, verwandelte und dazu ein gänzlich neues Kostüm anzog. Zuvor wurden lediglich Makeup und Accessoires gewechselt, allein die Leistungswerte kletterten von 37 kW/50 PS auf damals respektable 45 kW/61 PS. Mit TI (Turismo Internationale)-Logo gab es sogar bis zu 54 kW/74 PS, womit die zierliche 4,10 Meter messende Sportlimousine auch kapitale Direktionsfahrzeuge wie den Opel Kapitän von der Überholspur scheuchen konnte. Allerdings war das noch nichts gegen die stromlinienförmigen 200-km/h-Coupés Giulietta Sprint Speciale und Sprint Zagato, denen 74 kW/100 PS genügten, um zu den schnellsten Serienautos überhaupt auf Autobahnen zu zählen. Zahlreiche Motorsporterfolge wie der Klassensieg einer Giulietta Sprint bei der Mille Miglia 1956 oder der Erfolg eines SZ-Coupés beim „Coupe des Alpes“ 1963 festigten den legendären Ruf dieser Racer, von denen es sogar eine Kombivariante gab. Der Karossier Colli baute die Giulietta Promiscua als fünftüriges Familienfahrzeug, fuhr damit seiner Zeit aber doch zu weit voraus, denn Kombis sollten damals einfach nur praktisch und nicht unbedingt schick sein. Nach nur zwei Jahren und 91 Lifestyle-Kombis war 1959 bereits wieder Schluss.
Vielleicht die richtige Entscheidung, denn unvergessen bis heute sind allein die blendend schönen Berlina und Sportwagen die Romeo e Giulietta zum Traumpaar machten. Etwas, was den 1977 und zuletzt 2010 präsentierten namensgleichen Nachfolgern nicht mehr gelang.
Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Alfa Romeo/SP-X