Es war zu erwarten. Je näher der Tag der Abrechnung kommt, also am Wochenende am Zielort, dem chilenischen Valparaiso, umso mehr werden kleinere und größere Nervenkriege angezettelt. Und das nicht nur unter Markengegnern, sondern auch quasi im eigenen Hause. Das sieht dann so etwa aus: da beschwerte sich de Villiers darüber, dass die MINI-Meute ihn nicht vorbei gelassen habe, obwohl ich schneller war und das Sentinel (akustisches und optisches Notsignal) betätigt habe, mehrfach sogar. Diesmal ist dann X-raid dran mit einem Protest, weil de Villiers Al Attiyah und Vasilyev nicht vorbei gelassen habe. X-raid legt Protest ein. In diesem Fall, so ihm statt gegeben wird, muss der Südafrikaner mit einer 3-Minuten-Strafe rechnen. Es wurde zudem hart gefightet.
Die Spitze in der Tageswertung wechselte munter, erst blies Sainz auf dem SMG- Buggy volle Attacke und entschwand, ließ seine Gegner ordentlich Staub schlucken, dann hatte Nasser Al Attiyah die Nase voll vom Staub und überhaupt, legte die zweite Turbostufe ein und ging an die Spitze, die er, somit mit erstem Tagessieg, bis ins Ziel verteidigte und auf gut 2 Minuten vor Peterhansel ausbaute. Peterhansel fährt schlicht und unauffällig seinen Strich: schnell, aber nicht zu schnell, saubere Linien, einfach souverän. Seine einzige Chance, an den Gesamtführenden Nani Roma heran zu kommen. Inzwischen schob sich das Toyota-Team mit de Villiers/von Zitzewitz mutig nach vorne, nutzte die WRC-Rallye ähnlichen Verhältnisse auch dank des starken V8- Motors, fehlerfrei, und liegt inzwischen auf Platz 3. Nach den Salzseen von Uyuni fingen dann die Zickereien in der Spitze an. Ein Teil der Spitzenfahrer musste in über 4.000 Metern Höhe sogar mit Sauerstoffmaske fahren. Nun hat Al Attiyah den feinen Duft eines zweiten Gesamtsieges gerochen und attackiert sogar seinen MINI-Teamkollegen Peterhansel. Der aber ist so in sich gefestigt, dass er sich auf Scharmützel mit dem Heißsporn aus Qatar kaum einlassen wird. Der Gesamtführende, Nani Roma, durchleidet in diesen Tagen eine Pest-Serie: diesmal zwei Punctures, also zweimal Radwechsel. Vasilyev fährt das Rennen seines Lebens: er wird von Tag schneller, bewegt den X-raid-Mini in Grenzbereichen, von denen sich andere geflissentlich fernhalten. Und kämpft sich immer weiter nach vorne. Beachtlich auch die holländischen Teams auf HRX und dem Ex-Mitsubishi: Ten Brinke und van Loon kämpfen um Platz 10! Push, push, push… sei seine Devise in den letzten vier Tagen, meinte Nasser Al Attiyah. Was einer ganz klaren Kampfansage entspricht. Da müssen sich einige vor ihm richtig warm anziehen. Teamchef Sven Quandt hat wohl vor, mindestens einen Dreifach-Sieg einzufahren, um es dem ehemaligen VW-Team 1:1 nachzumachen, vielleicht sogar noch mehr. Wird noch spannend, ob das seine eigenen Fahrer auch beherzigen, denn jeder scheint nur für sich zu fahren…
Der Startort bei Calama liegt übrigens so hoch wie Deutschlands höchster Berg: hauchdünn unter 3.000 Meter. Die Tagesroute führte zum nördlichsten Punkt der diesjährigen Dakar, ins chilenische Iquique. Sainz und Al Attiyah, der als Erster starten musste, duellierten sich bis zum Waypoint 2 ziemlich heftig, was dem Fahrgerät des Spaniers fortan offensichtlich nicht gerade gut bekam. Peterhansel schloss auf und das Duell verlagerte sich auf die beiden MINI- Treiber aus Spanien und Qatar: die Startnummern 300 und 301 schenkten sich an diesem Tag nichts. Zwischen Waypoint 4 und 5 brach dann ein Teil des Chassis am SMG-Buggy von Sainz, er verlor weit über 1 Stunde, musste die Reparatur improvisieren und mit verhaltenem Gasfuß versuchen, das Ziel zu erreichen. Dort hatte sich der Zeitverlust auf knapp 2 Stunden addiert. Mächtig Gas gaben an diesem Tag auch andere: Robby Gordon zum Beispiel, der seinen Speed-Hummer um 13:49 Uhr sogar am Toyota Hilux von de Villiers vorbeiquetschte und auf dem 5. Tagesrang einlief. Weitere Opfer von Gordons brachialem Zwischensprint: die MINI's von Vasilyev, Holowczyc und Villagra. Einen phantastischen Job machte zur Überraschung vieler heute das ehemalige Skisprung-Ass Adam Malysz, der seinem Toyota Proto vom Team Overdrive richtig die Sporen gab, kaum Fehler machte und dazu das Glück auf seiner Seite wusste, sich damit auf Tagesplatz 5 selbst belohnte, sein Team natürlich auch. Sein Landsmann Dabrowski, auf identischem Fahrgerät unterwegs, durfte sich sein bislang bestes automobiles Tagesergebnis anschreiben lassen: es ist seine erste Dakar auf 4 Rädern, vorher war er bereits als Motorradfahrer unterwegs. Da dürfte eine Karriere à la Peterhansel mal möglich werden. Nani Romas Vorsprung auf Peterhansel schmilzt Tag für Tag weiter ab, eine knappe Viertelstunde ist es noch bei den ausstehenden letzten 4 Tagen. Der Franzose macht schon jetzt Druck, der Qatari will noch auf den 3. Platz, möchte so gerne noch Terranova verdrängen. Im Königshaus von X-raid ist der Kampf um einen 4-fach-Sieg voll entbrannt. Das deutsche MINI-Team Schott/Schmidt hat sich erstmal auf einem ordentlichen 20. Platz eingerichtet. Einer der Hauptfavoriten, Sainz hat wohl alle Chancen verloren, noch aufs Treppchen zu fahren, er wollte es mit dem Brecheisen versuchen und hat die Quittung hinnehmen müssen.
Text: Frank Nüssel/CineMot
Fotos: Teams