Elf Jahre musste die Rallye-Weltmeisterschaft in Deutschland Station machen, um endlich einmal einen echten Favoritensturz und einen Kampf um Sekundenbruchteile an der Spitze des Feldes zu erleben. Nachdem Seriensieger Sébastien Loeb, der die „Deutschland“ seit 2002 dominiert hatte, nur vor zwei Jahren von seinem damaligen „Kronprinzen“ Sébastien Ogier entthront worden war, hieß es für den als großen Favoriten des diesjährigen Laufes rund um Trier gestarteten Ogier schon nach vier Prüfungen: „Rien ne va plus“ – „Nichts geht mehr“ für den 29jährigen aus dem südfranzösischen Gap, der damit seine Hoffnungen auf den vorzeitigen Gewinn der Fahrer-Weltmeisterschaft auch begraben muss.
Ausgerechnet beim „Heimspiel“ seines Arbeitgebers Volkswagen, bei dem er Ende des Jahres 2011 ein Arbeits-Papier unterschrieb, erwischte den exzellenten Piloten im 315 PS starken Polo R WRC gemeinsam mit seinem Co-Piloten Julien Ingrassia die „Defekthexe“. Eis, Schnee und Schotter hatte das Duo im Verlauf der Saison unbeschadet überstanden, bis in Deutschland die erste komplette Asphalt-Rallye anstand. Und so musste schon am zweiten Tag der Deutschland-Rallye der WM-Spitzenreiter aus Frankreich seinen Traum vom zweiten Erfolg in Deutschland und vom vorzeitigen WM-Titel frühzeitig aufgeben Nachdem der in der Weltmeisterschaft deutlich führend neue „Super-Seb“ am ersten Tag, der nur zwei Wertungsprüfungen beinhaltete, bereits mit knapp zehn Sekunden Vorsprung geführt hatte, begann Tag Nr.2 denkbar unglücklich für das französische Doppel. Auf der dritten Wertungsprüfung hatte sich Ogier im Werks-Polo vorne links die Aufhängung seines Polo R WRC beschädigt. Zuvor hatte sich der Franzose einen seiner ganz seltenen Fahrfehler im Polo R WRC geleistet. Ogier kassiert durch den Ausfall 20 Strafminuten, hat aber keine Chance mehr die Rally zu gewinnen. Das Paar fährt dennoch weiter, um die so genannte „Powerstage“ zu gewinnen, in der es noch zusätzliche Bonuspunkte in der Fahrer-WM gibt.
Bereits am Donnerstag abend hatte leichter Nieselregen die beiden ersten WP’s, darunter erstmals eine Nachtprüfung an der deutsch-luxemburgischen Grenze, zu unübersichtlichen Rutschpartien gemacht. Auch am Freitag hatte sich die Wetterlage nicht entscheidend geändert, sodass die Frage der Reifen auch zu einem Lotteriespiel wurde. Ogier hatte in der für ihn so unglücklich verlaufenen Wertungsprüfung nach eigenen Angaben einen Bremspunkt verpasst und war mit dem Fahrzeug gegen einen Bordstein geknallt. „Dabei wurden das linke Vorderrad und der Querlenker beschädigt“, ärgerte sich der Franzose selbst am meisten über sein Missgeschick.
Das Pech des Einen ist das Glück der Anderen. Denn durch das Missgeschick des WM-Führenden wird die Rallye nun so richtig spannend. An der Spitze duellieren sich der Belgier Thierry Neuville im Ford Fiesta WRC und Ogiers Markengefährte Jari-Matti Latvala. Sollten beide die „Königs-Etappen“ am Samstag auf der so genannten Panzerplatte auf dem Militärgelände im Hunsrück ohne Schäden an ihren World Rallye Cars überstehen, dürfte die Entscheidung über den Sieg nur zwischen diesen beiden fallen. Die Entscheidung in der gesamten Rallye-Weltmeisterschaft fällt nun aber frühestens beim nächsten WM-Lauf in Australien vom 12. bis 15. September.
Die Rallye Deutschland verfehlt auch in diesem Jahr ihre Wirkung auf die Motorsport-Enthusiasten nicht. Schon am Freitag hatten sich Zehntausende von Fans in den Weinbergen an der Mosel aufgemacht, um die weltbesten „Quertreiber“ bei ihren atemberaubenden Drifts zwischen den Rebstöcken zu bewundern und ihre persönlichen Favoriten an zu feuern. Der veranstaltende ADAC rechnet an den vier Rallyetagen in Südwestdeutschland mit einem kumulierten Zuschaueraufkommen von etwa 200.00 Besuchern.
Text: Jürgen C. Braun
Fotos: Oliver Kleinz