Die nächste Generation: Philipp Etzold und Lennard Zerlin

Ob Titelkampf oder Kellerduell in der LIQUI MOLY HBL, ob Spitzenspiel oder Abstiegsthriller in der Handball Bundesliga Frauen, ob ein Nachbarschaftsderby in der 3. Liga oder die Finalrunde der Deutschen Jugend-Meisterschaft: Seit 2020 können die Schiedsrichter*innen des Deutschen Handballbundes (DHB) bei ihren Einsätzen auf die Unterstützung der KÜS bauen. Die jüngsten Unparteiischen, die das KÜS-Logo auf der Brust tragen, pfeifen im Perspektivkader - und werden dort auf höhere Aufgaben vorbereitet. Eins dieser Schiedsrichter-Teams sind Philipp Etzold und Lennard Zerlin aus Magdeburg. Ein Blick auf die nächste Generation.

Die Schiedsrichterkarriere von Philipp Etzold und Lennard Zerlin begann, weil sie ihren Trainer nervten. Als Jugendliche spielten die beiden Kindergartenfreunde beim BSV 93 Magdeburg; ihr Verein war damals wie so die meisten Klubs im Amateurhandball auf der Suche nach neuen Unparteiischen. „Uns wurde damals gesagt: Ihr fragt immer, warum etwas so entschieden wird, wollt das dann aber nicht hören – ihr macht jetzt mal einen Schiedsrichterschein“, erinnert sich Etzold mit einem Schmunzeln. 

Es war der Startschuss für eine Karriere auf der „anderen Seite“ der Pfeife, welche für viele Handballerinnen und Handballer nicht in Frage kommt. Doch ebenso wie für ihre Kolleg:innen aus dem Perspektivkader des Deutschen Handballbundes haben Etzold (27) und Zerlin (26) ihre Leidenschaft für das oft ungeliebte Amt des Schiedsrichters entdeckt – und gehören zu den großen Talenten im deutschen Schiedsrichterwesen. 

„Zusammen mit den beiden Mannschaften auf dem Feld ein geiles Handballspiel zu kreieren und das hautnah mitzuerleben, ist einfach mitreißend“, erklärt Zerlin. „Wenn mich jemand fragt, warum ich Schiedsrichter bin, stelle ich oft die Gegenfrage, ob er oder sie schon einmal ein geiles Spiel gesehen habe. 99 Prozent verneinen das, aber das andere ein Prozent versteht dann, was ich meine. Handball ist und bleibt einfach einmalig.“ Die Mannschaften „wollen ein tolles Spiel und wir können als Schiedsrichter unseren Teil dazu beitragen“, sagt auch Etzold. „Das motiviert uns extrem.“ 

Im Sommer 2019 stieg das Gespann aus seinem Bezirk in den Landeskader auf und durfte sich ein halbes Jahr später in Menden erstmals den Verantwortlichen des Deutschen Handballbundes präsentieren, die im Rahmen eines Jugendturniers nach neuen Schiedsrichter-Talenten suchten. „Wir wurden aber völlig zurecht nicht gesichtet“, sagt Etzold offen. „Unsere Leistung war fernab von dem, was die anderen konnten.“ 

Anstatt jedoch aufzugeben, arbeiteten die Magdeburger an sich – und wurden belohnt. Zwei Jahre später folgte im zweiten Anlauf der Aufstieg in den Perspektivkader. „Es war unser erstes großes Ziel – einmal die coolen Puma-Trikots des Deutschen Handballbundes mit dem KÜS-Logo auf der Brust zu tragen“, erinnert sich Etzold. Entsprechend strahlend nahmen sie auf dem ersten Lehrgang mit dem Perspektivkader ihre Ausstattung entgegen. „Wir haben uns auf dem Zimmer erst einmal eine halbe Stunde einfach gefreut und Fotos gemacht“, schmunzelt Etzold. „Das breite Grinsen ging nicht aus dem Gesicht“, lacht auch Zerlin. 

Im Herbst 2022 debütierten Etzold/Zerlin in der Jugendbundesliga in Leipzig und pfeifen in der höchsten deutschen Jugendspielklasse. Zusätzlich feierten sie vor wenigen Wochen bei der Partie GSV Eintracht Baunatal gegen TV Emsdetten ihre Premiere in der 3. Liga der Männer. Danach gab es viel positives Feedback. „Einer der Trainer kam zu uns und hat gelobt: Man hat euch nicht angemerkt, dass es euer erstes Drittligaspiel war“, freut sich Zerlin.

Das Finale des Deutschland-Cups im Dezember 2024 war ein weiterer Meilenstein. Bei dem Turnier messen sich die besten Talente aus den verschiedenen Landesverbänden miteinander; viele der Jungen werden in den Leistungszentren der Erst- und Zweitligisten ausgebildet. In diesem Rahmen das Finale pfeifen zu dürfen, ist für die talentierten Schiedsrichter eine Bestätigung ihrer Leistung – und gleichzeitig eine Herausforderung, denn man will dem Vertrauen gerecht werden. „In dem Moment, wo wir die Ansetzung bekommen haben, wussten wir, dass wir bereit sein müssen“, sagt Etzold. 

Das notwendige „Funktionieren unter Druck“, wie es der 27-Jährige nennt, kenne jeder Schiedsrichter; egal, in welcher Liga er eingesetzt werde. „Da wächst man nach und nach rein“, glaubt er. Das sieht auch Zerlin so. „Ohne Druck würde keiner von uns auf dieses Niveau kommen. Dieser Druck ist uns bewusst, denn die Aufstiegschancen sind begrenzt und der Abstieg schwingt in jeder Saison mit. Unser Anspruch ist es daher, uns kontinuierlich zu verbessern.“ 

Denn ebenso, wie die (Spieler-)Talente beim Deutschland-Cup träumen auch Etzold/Zerlin und ihre Kollegen aus dem Perspektivkader von der Bundesliga. Dass sie irgendwann in die Fußstapfen der heutigen Elitekader-Schiedsrichter treten könnten, ist zugleich greifbar und (noch) ganz weit weg. „Es wird uns natürlich gesagt, dass wir diese Chance haben, aber das ist eine verrückte Vorstellung“, sagt Zerlin. Etzold nickt: „Auf den Lehrgängen wird uns klargemacht, welche Verantwortung wir bereits jetzt schon haben, weil wir den Deutschen Handballbund präsentieren und welcher Weg vor uns liegen könnte.“ 

Doch ebenso, wie bei den Spielern gilt auch für die Unparteiischen: Es wird nicht jeder bis ganz oben schaffen. Alle Gespanne im Perspektivkader bringen ein gewisses Potenzial mit, doch wenn die Entwicklung fehlt, reicht das nicht. „Das ist uns bewusst, denn alle in unserem Kader investieren so viel“, betonen auch Etzold und Zerlin unisono. „Wir wollen uns weiter entwickeln und dann gucken wir, was passiert.“ 

Auf die Unterstützung ihrer Familien und ihrer Partnerinnen, die beide selbst Mannschaftssport betreiben, können sich die beiden dabei verlassen – ebenso wie aufeinander. „Wir haben unsere großen Streits als Fünfjährige gehabt, jetzt wissen wir, was der andere gerade braucht – oder eben nicht“, lacht Etzold, der als Wirtschaftsingenieur für erneuerbare Energien arbeitet. Zerlin studiert Lehramt. Als Handballer sehen sich die beiden Freunde übrigens nach wie vor – auch, wenn sie selbst nicht mehr als Spieler auf der Platte stehen. „Wir sind jetzt eben als Schiedsrichter Teil des Handballsports“, sagt Etzold und Zerlin ergänzt: „Unsere Position ist eben nicht im Tor oder auf Linksaußen, sondern hinter der Pfeife.“

Foto: Olaf Kerber

Nach oben scrollen