Marianne Faithfull: Ein Nachruf

Eine Fahrt durch Paris hat ihre Karriere begründet. Genauer gesagt, war das der Wunsch einer 37-jährigen Hausfrau, irgendwann einmal in einem Sportwagen die französische Hauptstadt – gleichsam wörtlich – zu erfahren. „The Ballad Of Lucy Jordan“, von Shel Silverstein ursprünglich für „Dr. Hook and the Medicine Show“ geschrieben, machte Marianne Faithfull 1979 und 1980 schlagartig zum Weltstar. Die Sängerin und Schauspielerin ist am 30. Januar 2025 einen Monat nach ihrem 78. Geburtstag gestorben.

Faithfull – halt: War die nicht schon in den Sechzigern berühmt? Doch, ja. Für die ehemalige Klosterschülerin wäre wohl eine durch und durch bürgerliche Biographie zu erwarten gewesen – wäre sie nicht mit 17 Jahren Mick Jagger begegnet. Der schrieb, mit Keith Richards, für Marianne Faithfull „As Tears Go By“ und machte sie quasi über Nacht zum Star. Das freilich mehr oder minder im Gefolge der „Rolling Stones“, und als die Liaison mit Jagger vorbei war, hatte auch die Karriere seiner Ex erst einmal ihr Ende gefunden.

Es folgten Drogensucht, die Scheidung von John Dunbar, den sie früh geheiratet hatte, ihren 1965 geborenen Sohn Nicholas Dunbar sah sie erst mal nicht mehr. In London lebte sie eine Zeitlang ohne festen Wohnsitz. Ihr fulminantes Comeback mit dem Album „Broken English“, auf dem auch „The Ballad Of Lucy Jordan“ zu hören ist, war eine Sensation. Nicht nur, dass ihr ehemals so glockenhelle Stimme jetzt rau und brüchig klang, alle neuen Songs handelten von den Schattenseiten des Lebens und davon, wie man ihnen trotzt. Das war ungleich faszinierender als die erste, die kurze Karriere im „Stones-Schatten“ und bewies, dass Marianne Faithfull, inzwischen Mitte 30, das Zeug zu einer ganz eigenen Laufbahn hatte.

Seitdem ist der Erfolg ihr treu geblieben, auch wenn sie sich von den Drogen erst wenige Jahre nach dem Comeback endgültig zu lösen vermochte. Zwei Meilensteine seien an dieser Stelle hervorgehoben: Mit „Strange Weather“ setzte sie, inzwischen clean, den 1979 begonnenen Weg noch konsequenter fort als mit den zwischenzeitlich veröffentlichten Songs. Und gegen die Neuaufnahme von „As Tears Go By“ von 1987 wirkt das Original plötzlich ein wenig blass, quasi mit angezogener Handbremse eingespielt. Auch als Schauspielerin war sie erfolgreich, und natürlich muss hier „Irina Palm“ von 2007 genannt werden: Wer hätte die knapp 60-jährige Maggie in der Hauptrolle besser spielen können als Marianne Faithfull? Jene Maggie, die durch die schwere Krankheit ihres Enkels aus ihrem unauffälligen bis tristen, bürgerlichen Leben gerissen wird, weil sie um jeden Preis Geld verdienen muss, soll dessen Leben gerettet werden. Und die schließlich ihr Lebensglück genau in dem Moment zu finden beginnt, da sie das alte Leben hinter sich lässt.

Ihr Album „She Walks In Beauty“ werde wohl ihr letztes sein, ließ sie vor einigen Jahren verlauten. Immer wieder hatte sie mit ihrer Gesundheit zu kämpfen, zuletzt mit COVID und den Folgen.

Marianne Faithfull hat immer wieder Bertolt Brecht interpretiert. Ihr Leben erinnert an jenes der „unwürdigen Greisin“ in Brechts Kalendergeschichten. Wie auch sie, lebte Faithfull, genau genommen, als Erwachsene zwei Leben hintereinander. Das erste dauerte, als Anhängsel einer der berühmtesten Bands der Welt, gerade mal vier Jahre. Das zweite, als Künstlerin von Weltrang, mehr als zehn Mal so lange. Und wenn wir schon beim Zitieren sind, verabschieden wir uns von „der Faithfuill“ mit einem Songtitel von Leonard Cohen: So long, Marianne!

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