Mein besonderes Spiel – Paul Kijowsky: Das Topspiel in der Alles-oder-Nichts-Saison

Ob Titelkampf oder Kellerduell in der DAIKIN HBL, ob Spitzenspiel oder Abstiegsthriller in der Handball Bundesliga Frauen, ob ein Nachbarschaftsderby in der 3. Liga oder die Finalrunde der Deutschen Jugend-Meisterschaft: Seit 2020 können die Schiedsrichter*innen des Deutschen Handballbundes (DHB) bei ihren Einsätzen auf die Unterstützung der KÜS bauen. Jede*r von ihnen hat in seiner Karriere bereits zahlreiche Spiele geleitet, doch jeder der knapp 300 Unparteiischen des Deutschen Handballbundes hat den einen Einsatz, den er oder sie nie vergessen wird. Dies ist die Geschichte vom besonderen Spiel von Paul Kijowsky, der zusammen mit Lukas Strüder im Bundesligakader pfeift.

Für junge und talentierte Schiedsrichter*innen ist der Perspektivkader der erste Schritt im Deutschen Handballbund. In der Jugendbundesliga sammeln sie Erfahrung und dürfen teilweise bereits in der 3. Liga ran. Die Verweildauer ist jedoch begrenzt, sodass irgendwann die Entscheidung fällt, wie es weitergeht. Die ein, zwei oder drei besten Teams des Jahres – je nachdem, wie groß die Nachfrage ist – steigen direkt in den Nachwuchskader auf. Es ist die Expressschiene in die Bundesliga. Für die anderen geht es erst einmal in der 3. Liga weiter.

Das war auch der Weg, den Paul Kijowsky und Lukas Strüder vor vier Jahren einschlugen – mit der Ambition, es auf diese Art und Weise weiter nach oben zu schaffen. Die Bundesliga war das große Ziel des Gespanns aus Rheinland-Pfalz. Dreimal zerplatzte die Hoffnung jedoch. Von den insgesamt über 80 Schiedsrichter-Teams in der 3. Liga steigt am Ende nur eins auf. Zwar gehörten Kijowsky/Strüder stets zur Gruppe der Aufstiegsaspiranten, doch es reichte nicht.

„Wir haben es in den vergangenen drei Jahren nicht geschafft und so war die letzte Saison so ein bisschen eine Alles-oder-Nichts-Saison“, erklärt Kijowsky. Im Aufstiegskader der 3. Liga zu pfeifen, verlangt den Unparteiischen viel Zeit und volles Engagement ab. „Irgendwann fragt man sich: Wie lange wollen wir es noch versuchen?“, sagt Kijowsky ehrlich. „Wir haben uns dann gesagt: Entweder schaffen wir jetzt den Sprung oder wir pfeifen entspannt weiter in der 3. Liga, aber ohne den Druck, aufsteigen zu wollen.“

Dieses Mantra im Hinterkopf verlief die Saison 2023/24 über weite Strecken stabil bis sehr gut – und kurz vor dem Ende der regulären Spielzeit erhielten Kijowsky/Strüder dann die Ansetzung für ein ganz besonderes Spiel. In der Staffel Nordwest empfing der TV Emsdetten den direkten Konkurrenten Eintracht Hildesheim. Es war das absolute Topspiel zweier ehemaliger Zweitligisten, das Duell Erster gegen Zweiter, die nur ein Punkt Unterschied trennte. Beide Vereine waren bereits sicher für die Aufstiegsrunde qualifiziert, doch es ging immer noch um die Meisterschaft. „Für solche Spiele“, sagt Kijowsky, „muss man sich über konstant gute Leistungen in der Saison empfehlen, sonst bekommst du das nicht.“

Die Arena in Emsdetten war Wochen zuvor ausverkauft. 2.200 Zuschauer passen in die Halle. „Wir haben öfter vor über 1.000 Leuten gepfiffen, aber das war für uns ein Zuschauerrekord“, beschreibt Kijowsky. „Neben der Zahl ist auch der Aufbau der Halle entscheidend. In Emsdetten sitzen die Zuschauer auch noch an allen vier Seiten, weshalb man einen Hexenkessel mit einer intensiven Stimmung bekommt.“

Als Kijowsky/Strüder eintrafen, waren die Mannschaften jedoch erst einmal skeptisch. „Wir sind gefragt worden, warum kein Bundesligagespann kommt“, erinnert sich Kijowsky. Da der Deutsche Handballbund zur Aufstiegsrunde immer mal wieder Schiedsrichter-Teams aus höheren Kadern schickt, käme diese Frage öfter. „Hinzu kam, dass beide Vereine uns nicht kannten, weil wir kaum im Norden eingesetzt werden.“

Die Zweifel waren jedoch unbegründet, wie sich zeigen sollte. Kijowsky/Strüder zeigten sich der Aufgabe trotz des über weite Strecken engen Spiels gewachsen, am Ende siegte Emsdetten mit 36:32. „Wir waren kein Faktor, auch nicht in der Schlussphase und haben gutes bis sehr gutes Feedback bekommen“, freut sich Kijowsky. „Das war natürlich eine schöne Erfahrung.“

Wichtiger als die Rückmeldung der Vereine war für die beiden Schiedsrichter jedoch das eigene Erlebnis. „Das Spiel hatte Zweitliganiveau, es war ein tolles Match, die Physis und Entscheidungsqualität beider Mannschaften waren unfassbar hoch“, schwärmt Kijowsky. „Dieses Spiel hat uns gezeigt, wo wir hinwollen und warum. Uns war danach klar: Wir werden in Zukunft weiter alles daran setzen, aufzusteigen, weil wir solche Spiele jede Woche haben wollen.“

Für den Endspurt der Saison – und ihrem eigenen Aufstiegskampf im Schiedsrichterkader – war es genau der notwendige Push; die zwei, drei oder fünf Prozent, die in den Vorjahren vielleicht fehlten. „Es war ein ganz knappes Rennen zwischen uns und zwei anderen Gespannen und kam auf jedes Spiel bis zum Ende an“, beschreibt Kijowsky. „Als der Anruf kam, dass wir es geschafft haben, waren wir natürlich überglücklich.“ Er ist überzeugt: „Das Spiel in Emsdetten war dafür ausschlaggebend, weil wir dort noch einmal Feuer gefangen haben.“

Fotos: Heinz J. Zaunbrecher

Nach oben scrollen