Fragt man Nils Blümel, was Neutralität für ihn bedeutet, kommt die Antwort schnell. „Neutralität ist für mich der Luxus, vollkommen unvoreingenommen an ein Spiel heranzugehen“, formuliert es der Berliner. „Ich kann ein Spiel leiten, ohne eine persönliche Tendenz zu haben, wer gewinnen oder verlieren soll.“
Für Blümel und seinen Gespannpartner Jörg Loppaschewski ist Neutralität damit „das wichtigste Attribut“, wie es der Polizeibeamte formuliert. „Wenn du als Schiedsrichter einmal anfangen würdest – und ich spreche hier ganz bewusst im Konjunktiv -, einen Pfiff zu geben, weil du einen Hintergedanken hast, kommst du aus dieser Spirale nicht mehr heraus.“
Wie kompliziert die Sache mit der Neutralität des Schiedsrichters gesehen wird, erlebte Blümel am Anfang seiner Karriere, als er in den Berliner Hallen Spieler pfiff, die er kannte und mit denen er früher mitunter sogar selbst zusammengespielt hatte. „Der eine oder andere hätte schon gerne einen Pfiff mehr für sich gehabt“, erinnert sich Blümel. „Das war eine komische Situation, denn es war für mich klar: Ich entscheide das, was für mich objektiv richtig ist – und nicht das, was andere vielleicht haben wollen.“
Auch in der Bundesliga lernen sich Spieler, Trainer und Schiedsrichter über die die Jahre kennen – und vielleicht sogar schätzen -, aber „es ist ein absolut professionelles Verhältnis“, wie Blümel betont. „Es gibt oft auch das Vorurteil, dass Spieler mit größeren Namen bevorzugt werden, aber das trifft nicht zu. Auf dem Feld gelten für alle die gleiche Regeln.“
Entsprechend hart sind für Blümel und seine Kolleg*innen etwaige Vorwürfe, die ihnen bei bestimmten Pfiffen eine Absicht oder eine bewusste Beeinflussung des Spiels unterstellen. „Das trifft uns, das trifft mich persönlich, weil es einfach nicht stimmt“, stellt Blümel klar. „Einem solchen Vorwurf ausgesetzt werden, der einfach haltlos ist, ist kein schönes Gefühl.“
Denn zu dem Selbstverständnis der Schiedsrichter gehört laut Blümel eben eine absolute und uneingeschränkte Neutralität. „Wir pfeifen nicht das, was die Mehrheit haben will, sondern treffen die Entscheidung, die aus unserer Sicht korrekt ist – auch, wenn es unbequem ist“, sagt er.
Zur Neutralität gehört für Blümel auch, dass Differenzen keine Rolle spielen. „Natürlich gibt es Spiele, wo man sich nicht einig ist oder nach dem Abpfiff auch mal ein Streitgespräch führt“, sagt der Berliner, ergänzt jedoch sofort: „Wir müssen nach der Analyse an jedes Spiel einen Haken setzen, im nächsten Spiel geht es wieder bei Null los. Anders ist es nicht machbar. Wenn ich auf das Spielfeld gehe, blende ich daher alles andere aus – wie lange ich welchen Spieler schon kenne oder wo wir gerade pfeifen und was letzte Woche passiert ist.“
Um die Neutralität auch nach Außen zu vermitteln, achten die Schiedsrichter penibel auf Kleinigkeiten. So laufen sich Blümel/Loppaschewski beispielsweise an der Mittellinie warm. „Wir wollen damit das Zeichen setzen, dass wir nicht zu einer Seite tendieren“, erklärt er. Auch der Austausch mit den Mannschaftsoffiziellen findet immer mit beiden Seiten statt – im Idealfall sogar in einem möglichst identischen Zeitumfang.
In dem inoffiziellen Kodex der Schiedsrichter ist auch klar geregelt, was die Unparteiischen von den Vereinen annehmen dürfen: Die Verpflegung vor Ort in der Halle ist in Ordnung sowie Anstecker oder Wimpel, was gerade auf Vorbereitungsturnieren gerne ausgetauscht wird. Mehr nicht. „Wenn wir vor oder nach dem Spiel in einem Restaurant essen gehen sollten, dann bezahlen wir das aber selbstverständlich selbst“, stellt Blümel klar.
Auch abseits des Spieltags haben Blümel und sein Gespannpartner klare Regeln für sich aufgestellt: Dass Schiedsrichter keine Sportwetten platzieren dürfen, ist selbstverständlich, aber Blümel nimmt grundsätzlich auch nicht an Tippspielen im Freundeskreis teil und äußert auch nicht seine Meinung, wenn er nach dem Meisterschaftsfavoriten gefragt wird. Selbst das Managerspiel der LIQUI MOLY HBL, wo die Nutzer*innen mit Bundesligaspielern eine Mannschaft zusammenstellen und damit möglichst viele Punkte sammeln wollen, hat sich das Team aus Berlin nicht heruntergeladen. „Sobald man persönlich betroffen ist, verändert sich die Sichtweise und die Argumentation“, erläutert Blümel. „Das sieht man beim Tempolimit oder anderen Debatten. Und wir wollen jeden persönlichen Bezug vermeiden, denn es muss sichergestellt sein, dass keiner Mannschaft ein Vor- oder Nachteil entsteht.“ Überspitzt gesagt, ergänzt Blümel, „gehören die Schiedsrichter wahrscheinlich zu den einzigen Personen in der Halle, denen es völlig egal ist, wer das Spiel gewinnt.“ Denn so gewinnt am Ende die Neutralität.