Wenn man Suresh Thiyagarajah nach dem bisherigen Höhepunkt der Schiedsrichterkarriere fragt – nach dem Spiel, was das unbestrittene Highlight war – muss der 34-Jährige nicht lange überlegen. Im April 2023 leitete das Schiedsrichter-Team Thiyagarajah/Thiyagarajah das Finale im DHB-Pokal der Männer. „Eine Ehre und eine Wertschätzung“ sei diese Ansetzung gewesen, betont Thiyagarajah.
Dennoch entscheidet er sich für diese Serie schließlich für ein anderes, ganz besonderes Spiel: Am 1. Mai 2022 pfiffen Ramesh und Suresh Thiyagarajah die Partie SC Magdeburg gegen die Füchse Berlin. „Das war das Spiel, wo es Klick gemacht hat“, begründet der 34-Jährige, der ein Jahr jünger als sein Bruder Ramesh ist, seine Wahl. Ohne dieses Spiel, das haben beide Referees in den vergangenen Monaten in Gesprächen immer wieder betont, wären sie für die Finalansetzung überhaupt nicht in Frage gekommen.
Ein Blick in den Mai 2022: Der SC Magdeburg führt die Tabelle der 1. Bundesliga an, die Füchse Berlin sind dem Rivalen jedoch dicht auf den Fersen. Die Zuschauerränge der Magdeburger GETEC-Arena, sind bei diesem Spitzenspiel nahezu voll besetzt, die Atmosphäre ist des Spitzenspiels würdig. Alle Beteiligten wissen: Diese Partie wird im Rennen um die Deutsche Meisterschaft richtungsweisend sein.
„Wir waren zwar auch vorher schon mehrmals in Magdeburg, aber es war nicht nur das erste Mal, dass wir dieses Derby gepfiffen haben, sondern auch das erste Topspiel unter diesen Voraussetzungen“, erinnert sich Thiyagarajah. „Es war die Reifeprüfung: Entweder packen wir das – oder eben nicht. Aber dann bekommen wir so eine Chance auch nicht so schnell wieder.“
Entsprechend aufgeregt waren die Brüder, als sie die Ansetzung im Vormonat erhielten. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir zu dem Zeitpunkt schon dieses ultraschwere Spiel bekommen, aber wir haben uns natürlich total gefreut“, beschreibt Thiyagarajah. Auf so ein Spiel warten einige Schiedsrichter-Teams jahrelang, manche bekommen diese Chance nie. „Wir waren demütig und wussten: Wenn wir das gut pfeifen, sind wir endgültig angekommen.“
Und das gelang: Die Brüder Thiyagarajah hielten dem Druck stand. Fehlerfrei waren sie nicht, aber die imaginäre Waage bei den so wichtigen Fifty-Fifty-Entscheidungen stimmte. Nach dem Spiel gratulierten die Olympia-Schiedsrichter Robert Schulze und Tobias Tönnies noch und der Kabine und auch Coach Thorsten Zacharias lobte: „Das hätte man nicht viel besser machen können.“
An das Spiel selbst – so wichtig es für die Karriere war – erinnert sich Thiyagarajah allerdings nur noch bruchstückhaft. „Ich stand nach dem Spiel am Bahnhof und war total in einem Loch. Ich wusste nicht, was wir da gerade gemacht“, sagt er rückblickend. Lediglich die letzte Szene hat er noch bis heute im Kopf: Beim Stand von 27:27 bricht Gisli Kristjansson durch und trifft. Es ist der Siegtreffer für den heimischen SC Magdeburg. „Ramesh gibt als Torschiedsrichter den Treffer, das Spiel endet, das Licht geht aus und die Halle bebt“, beschreibt der 34-Jährige. „Und von uns wollte niemand etwas.“
Ihre Leistung an diesem Maitag in Magdeburg gab den beiden Brüder viel Selbstvertrauen. „Mit diesem Spiel im Rücken haben wir anschließend eine ganze Reihe an Topspielen und auch das Finale um den DHB-Pokal geleitet“, erinnert sich Thiyagarajah. „Wir haben ein Selbstverständnis entwickelt und wissen, dass wir in Drucksituationen die richtigen Entscheidungen treffen können.“
Wer ist Suresh Thiyagarajah?
Suresh Thiyagarajah (34) pfiff seine ersten Spiele im Alter von 14 Jahren gemeinsam mit seinem Bruder Ramesh. 2011 stiegen das Brüderpaar in den Nachwuchskader des Deutschen Handballbundes auf, 2014 folgte der Schritt in den Elite-Anschlusskader und damit die 1. Männer-Bundesliga. Im vergangenen Jahr leiteten sie im April das Finale beim REWE Final4 in Köln und dürfen seit August das Emblem des Handball-Weltverbandes IHF tragen. Beruflich ist Suresh Thiyagarajah als Einkaufsleiter in einem Maschinenbauunternehmen tätig.
Fotos: Marco Wolf